Studie – Lässt sich der Anbau verbieten? 28. Juni 2010 Die vorliegende Kurzstudie legt dar, dass ein Anbauverbot von MON810 in Deutschland wissenschaftlich und rechtlich geboten ist. Sie gibt einen Überblick über die Ergebnisse neuer wissenschaftlicher Publikationen, die deutlich machen, dass die Risiken des Anbaus von MON810 für die menschliche Gesundheit und die Umwelt bisher nicht ausreichend untersucht wurden. So liegen neue, konkrete Hinweise auf eine Gefährdung von Bienen, von nützlichen Insekten und der Ökologie von Gewässern vor. Auch zur Gefährdung der Gesundheit liegen neue Studien vor, die zeigen, dass der gentechnisch veränderte Mais dazu beitragen kann, Immunkrankheiten auszulösen. Zudem wird in der Studie anschaulich gemacht, dass die bisher praktizierten Ansätze zur Risikobewertung von MON810 zu kurz greifen: Sie setzen sich nicht in angemessener Weise mit der Sicherheit des Insektengifts auseinander, das in den Gentechnik-Pflanzen produziert wird. Die wissenschaftliche Unsicherheit über die Wirkungsweise des produzierten Gifts wird differenziert dargestellt. Darüber hinaus werden die Argumente einer kritischen Prüfung unterzogen, die vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und von der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) im Jahr 2007 als Beweis für die Sicherheit von MON810 vorgebracht wurden.1) Insgesamt wird gezeigt, dass sich seit dem Jahre 2007, als in Deutschland zuletzt über ein Anbauverbot des gentechnisch veränderten Mais MON810 diskutiert wurde, weitere konkrete wissenschaftliche Hinweise auf eine Gefährdung von Mensch und Umwelt durch MON810 ergeben haben. Zudem ist noch deutlicher geworden, dass es erhebliche Lücken bei der Risikobewertung des Bt-Toxins gibt, das in den MON810-Pflanzen gebildet wird. Dass ein Verbot des Anbaus von MON810 nicht nur in der Sache, sondern auch rechtlich geboten ist, wird abschließend anhand dem deutschen und europäischen Gentechnikrecht sowie der Rechtsprechung belegt. 1. Einführung Fünf Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben bisher ein Anbauverbot für den gentechnisch veränderten Mais MON810 erlassen. MON810, ein Produkt des Konzerns Monsanto, ist derzeit die einzige gentechnisch veränderte Pflanze, die in Europa kommerziell angebaut werden darf. Seine gentechnische Veränderung besteht darin, dass in sein Erbgut ein modifiziertes Gen des Bodenbakteriums Bacillus thuringensis eingebaut wurde. Dieses sorgt dafür, dass in allen Teilen des Mais ein Insektengift (Bt-Gift) produziert wird. Dieses gelangt über verschiedene Wege auch in die Umwelt. Am 2. März 2009 scheiterte die Europäische Kommission im EU-Umweltministerrat erneut mit ihrem Vorhaben, die MON810-Anbauverbote von Ungarn und Österreich aufzuheben. Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung wird in Deutschland derzeit wieder verstärkt über ein Anbauverbot des Gen-Mais diskutiert. Ab Mitte April beginnt in Deutschland mit der Aussaat des Mais die Anbausaison. MON810 erhielt im Jahr 1997/1998 die Anbauzulassung für den europäischen Markt, nach der damals noch gültigen aber inzwischen als unzureichend angesehenen EU-Richtlinie 90/220/EWG. Im Jahr 2005 wurden die ersten deutschen Sortenzulassungen erteilt. Die Zulassung des gentechnisch veränderten Mais ist nach EU-Recht bereits im April 2007 ausgelaufen. Bis zum Beginn der Anbausaison 2009 ist mit keiner Entscheidung über den laufenden Antrag zur Wiederzulassung zu rechnen. Damit würde der gentechnisch veränderte Mais 2009 bereits im dritten Jahr ohne eine erneuerte Zulassung angebaut. Nach Art. 23 der europäischen Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG können EU-Staaten den Anbau einer Gentechnik-Pflanze auf ihrem Gebiet verbieten, wenn es einen „aufgrund neuer und/oder zusätzlicher Informationen […] oder aufgrund einer Neubewertung der vorliegenden Informationen auf der Grundlage neuer und zusätzlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse berechtigten Grund zu der Annahme [gibt, dass die Gentechnikpflanze] eine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt.“ In Deutschland wurde bereits im April 2007 ein befristetes Verkaufsverbot in Zusammenhang mit behördlichen Auflagen für ein fallspezifisches Monitoring diskutiert. Als Begründung für diese Entscheidung wurde von Seiten des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) im April 2007 u.a. genannt (BVL, 2007, 1), dass sich das Gift aus dem gentechnisch veränderten Mais in der Nahrungskette anreichere und insbesondere für räuberische Insekten (Prädatoren, diese werden oft zu den nützlichen Insekten gezählt, weil sie Schädlinge reduzieren können) ein Risiko darstelle. Zudem seien bisher viele wichtige Organismen wie Fliegen, Wespen, Ameisen und Spinnen zu wenig untersucht worden. Das BVL stellte fest, dass „erst mit jüngeren Untersuchungen deutlich wurde, dass und in welchem Ausmaß das Bt-Toxin über die Pflanzen in höhere Nahrungskettenglieder gelangt“. Weiter heißt es: „Die Exposition von Nichtzielorganismen höherer Nahrungskettenglieder wie z.B. Prädatoren oder Parasitoiden mit dem Bt-Toxin ist damit belegt.“ „[D]iese neuen und zusätzlichen Informationen […] geben berechtigten Grund zu der Annahme, dass der Anbau von MON810 eine Gefahr für die Umwelt darstellt.“ In einer weiteren Stellungnahme des BVL im Dezember 2007 wurden diese Gründe für nicht stichhaltig erklärt. Stattdessen wurde eine deutlich abgeschwächte Form des Monitorings, eine sogenannte allgemeine Beobachtung des Anbaus (general surveillance), mit der Firma Monsanto vereinbart (BVL, 2007, 2). Soweit bekannt, liegt bis heute keine detaillierte inhaltliche Begründung des BVL für diese Kehrtwendung vor. Einzig verfügbares Dokument hierzu ist eine inhaltlich wenig belastbare Stellungnahme der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit, ZKBS, die in Teil 3 dieser Kurzstudie diskutiert wird. Die Autoren der vorliegenden Kurzstudie legen dar, dass ein Anbauverbot von MON810 in Deutschland wissenschaftlich begründet und rechtlich machbar ist: Inzwischen sind weitere Publikationen verfügbar, die deutlich machen, dass die Risiken des Anbaus von MON810 in der Tat bisher nicht ausreichend untersucht wurden. Zudem greift der Ansatz für die Risikobewertung, wie er im ursprünglichen Bescheid des BVL vom April 2007 gewählt wurde, zu kurz, weil er sich nicht umfassend mit der Sicherheit des in den Pflanzen produzierten Toxins auseinandersetzt. Die Beurteilung der Sicherheit dieses Toxins ist eine wesentliche Voraussetzung für eine angemessene Risikobewertung und damit für die Verkehrsfähigkeit der gentechnisch veränderten Maispflanzen MON810. Verglichen mit der Beurteilung der Sicherheit von Atomkraftwerken wäre eine Begründung, wie sie das BVL im Rahmen seiner Anordnung vorgelegt hat, eine Prüfung, die sich nur damit befasst, ob außerhalb eines laufenden Kraftwerkes bereits Schäden an der Natur aufgetreten sind. Die vorliegende Kurzstudie geht dagegen davon aus, dass es (um im Bild zu bleiben) bei einer Risikobewertung zunächst darauf ankommt, die Sicherheit des Primärkreislaufes und der Brennstäbe mit geeigneten Methoden zu beurteilen, bevor ein Atomkraftwerk überhaupt in Betrieb gehen kann. In Teil 1 werden wissenschaftliche Gründe dargelegt, warum die Sicherheit, die Verlässlichkeit und die Kontrollierbarkeit des Bt-Gifts, das in MON810 gebildet wird, bezweifelt werden muss. In Teil 2 der Studie werden aktuelle und neue wissenschaftliche Erkenntnisse über konkrete Risiken des Gen-Mais MON810 dargelegt. Diese wurden bisher weder von den Europäischen Zulassungsbehörden noch im BVL-Bescheid vom April 2007 berücksichtigt. In Teil 3 wird noch einmal auf die Argumentation der BVL-Bescheide aus dem Jahr 2007 eingegangen. In Teil 4 dieser Studie wird erläutert, dass die dargelegte wissenschaftliche Unsicherheit und die benannten konkreten Risiken des Gen-Mais ein nationales Anbauverbot von MON810 rechtlich begründen und ein solches Verbot von den zuständigen Behörden in Deutschland umgesetzt werden kann. 1. Grundsätzliche Zweifel an der Sicherheit von MON810 Bisher steht bei der Risikobewertung gentechnisch veränderter Pflanzen wie MON810 die Beurteilung von einzelnen speziellen Risiken im Vordergrund, wie beispielsweise die Auswirkungen des gentechnisch veränderten Mais auf einzelne Tierarten. Vernachlässigt werden dagegen grundsätzliche Unsicherheiten, die die Verlässlichkeit und Kontrollierbarkeit von gentechnisch veränderten Pflanzen insgesamt betreffen. Tatsächlich sind aber bei den Verfahren, die zur gentechnischen Manipulation von Pflanzen verwendet werden, grundlegende Zweifel angebracht. So stellt sogar die Firma Monsanto in ihrer Patent- anmeldung WO 2004/053055 den Methoden zur gentechnischen Manipulation von Pflanzen ein vernichtendes Zeugnis aus: „Die Erfolgsrate, die gentechnisch veränderte Pflanzen zu verbessern, ist niedrig. Dies wird durch eine Reihe von Ursachen verschuldet, wie die geringe Vorhersagbarkeit der Effekte eines spezifischen Gens auf das Wachstum der Pflanze, deren Entwicklung und Reaktionen auf die Umwelt. Dazu kommt die geringe Erfolgsrate bei der gentechnischen Manipulation, der Mangel an präziser Kontrolle über das Gen, sobald es in das Genom eingebaut wurde und andere ungewollte Effekte, die mit dem Geschehen bei der Gentransformation und dem Verfahren der Zellkultur zusammenhängen.“ (Übersetzung durch die Verfasser) Obwohl sich aus diesen technischen Unzulänglichkeiten auch grundsätzliche Zweifel an der Sicherheit von gentechnisch veränderten Pflanzen zwingend ableiten, ist es bis jetzt noch zu keiner Verweigerung einer Zulassung gekommen. Um diesen grundsätzlichen Zweifeln an der Technologie an sich zu entgehen, geht die Risikobewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) derzeit davon aus, dass gentechnisch veränderte Pflanzen grundsätzlich als vergleichbar mit konventionell gezüchteten Pflanzen anzusehen sind und dass es nur auf die Untersuchung offensichtlicher Unterschiede ankommt. (EFSA, 2008) Dieser Ausgangspunkt ist wissenschaftlich fragwürdig, betrifft die Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen ganz allgemein und sollte im Rahmen der bereits laufenden Diskussion über die Prüfstandards der EFSA intensiv debattiert werden. Ein Punkt, der für die Sicherheit des gentechnisch veränderten Mais MON810 entscheidend ist, betrifft die Sicherheit des Insektengiftes, das in der Pflanze produziert wird. Es geht um die Bewertung des sogenannten Bt-Toxins, eines giftigen Eiweißstoffes (zur Wirkungsweise siehe 1.2.). Da diese Fragen einen definierten Wirkstoff (ein insektengiftiges Eiweiß) betreffen, können hier ähnliche Maßstäbe wie an die Zulassung von Arzneimitteln und von Pestiziden angelegt werden. Zwar unterliegen in Europa die Zulassungsverfahren für Pestizide, Arzneimittel und gentechnisch veränderte Pflanzen unterschiedlichen gesetzlichen Bestimmungen und werden nach unterschiedlichen Standards bewertet. Dies entbindet jedoch das gesetzlich vorgeschriebene Risikomanagement nicht von der Notwendigkeit, dort vergleichbare Standards anzulegen, wo es um ähnliche Stoffgruppen und vergleichbare Risiken geht. Demzufolge sind die Verfasser dieses Gutachtens der Ansicht, dass die bestehenden Wissenslücken so groß und die Hinweise auf eine Gefährdung von Nichtzielorganismen so konkret sind, dass diese die Verkehrsfähigkeit des gentechnisch veränderten Mais MON810 grundsätzlich in Frage gestellt werden muss. 1.1 Schwankungen des Toxingehaltes und unzureichende Messmethoden Von der Umweltorganisation Greenpeace wurden 2007 erstmals Zweifel an den Angaben der Firma Monsanto bezüglich des Toxingehalts der gentechnisch veränderten Maispflanzen laut. Anlass dazu waren eigene Messungen der Umweltorganisation (Greenpeace, 2007) sowie Veröffentlichungen einer deutschen Forschungsgruppe (Ngyuen&Jehle, 2007), die übereinstimmend zu dem Ergebnis kamen, dass der Toxingehalt wesentlich größeren Schwankungen unterliegt, als von der Firma Monsanto angegeben wird. Weiterhin wurde darauf hingewiesen, dass es derzeit keine ausreichend standardisierten Messmethoden gibt, um diese Toxingehalte zu bestimmen und zu vergleichen. Das ist unter anderem deswegen problematisch, weil die verwendete Messmethodik (ELISA) schon auf geringe Variationen im Messprotokoll äußerst empfindlich reagiert (Crespo et al., 2008). Werden Messprotokolle verwendet, die sich nur in Details unterscheiden, können die Ergebnisse um mehrere Größenordnungen verschieden sein. In einem Übersichtsartikel aus dem Jahr 2008 wurden erstmals systematisch verschiedene Publikationen zusammengefasst, die sich mit den Faktoren, die den Giftgehalt in den Pflanzen beeinflussen können, beschäftigen. Dabei wurde festgestellt, dass es bisher keine umfassende Untersuchung der Ursachen und ihrer möglichen Auswirkungen gibt. (Then&Lorch, 2008) Indirekt bestätigt wird diese Situation durch einen aktuellen Entwurf für eine neue Prüfrichtlinie des Vereins Deutscher Ingenieure, VDI. (VDI 4330, Entwurf, November 2008) Der VDI schreibt zur entscheidenden Frage der Definition der Messprotokolle: „Die Durchführung der Tests folgt den Angaben des Herstellers oder des Entwicklers. Bei entsprechender Protokollierung kann von diesen Angaben abgewichen werden.“ Diese Angaben reichen leider nicht aus, um Ergebnisse zu erzielen, die mit ausreichender Sicherheit von anderen Labors reproduziert werden können. Nötig wären hierfür u.a. Ringversuche und die Festlegung von bestimmten Referenzverfahren, die als Vergleichspunkt und Qualitätskontrolle für andere Messungen dienen können. Das ist aber bisher nicht erfolgt, obwohl der Mais MON810 bereits seit über zehn Jahren angebaut werden darf. Zudem erschienen verschiedene Publikationen (Dong&Li, 2007; Adamczyk et al, 2008), in denen ähnliche Phänomene, wie sie in Bt-Mais beobachtet wurden, auch bei Bt-Baumwolle vorkamen. Die Autoren kommen zu der Einschätzung, dass die Menge bzw. die Konzentration des in den Pflanzen gebildeten Giftes sowohl von Umwelteinflüssen als auch vom Sortenhintergrund abhängig ist. Nimmt man die Publikationen, die zu Bt-Baumwolle und Bt-Mais vorliegen, zusammen, ergibt sich daraus schlüssig, dass Bt-Pflanzen auf Einflüsse verschiedenster Art deutliche Reaktionen zeigen, die sich in signifikanten Schwankungen ihres Bt-Gehaltes äußern. Zwar ist aus einem schwankenden Giftgehalt und dem Fehlen von einheitlich validierten Messmethoden nicht zwingend eine unmittelbare Gefahr für Mensch und Umwelt abzuleiten. Die Bedeutung der Bestimmung des exakten Giftgehaltes in den Pflanzen ist aber erheblich, beruhen doch große Teile der Risikobewertung der Pflanzen auf der Beurteilung des Zusammenhangs von Dosis und Wirkung. Als Voraussetzung für eine Risikoprüfung müssen zumindest verlässliche, standardisierte Methoden zur Verfügung stehen, mit denen der Gehalt an Insektengift überprüft werden kann. Die Angaben der Firma Monsanto zu diesem Thema sind jedenfalls nicht ausreichend, um die wirkliche technische Qualität der Pflanzen zu beschreiben. Im Gegenteil bestehen gute Gründe zur Annahme, dass die bisherigen Angaben entweder falsch oder äußerst unvollständig sind. Insgesamt entsprechen die Pflanzen weder den von Monsanto für die USA angegebenen Durchschnittswerten noch den Werten, die Monsanto für Europa angibt (siehe Monsanto, 2002 und Then&Lorch, 2008). Damit fehlen nach Ansicht der Autoren ganz grundlegende Voraussetzungen für die Verkehrsfähigkeit der Pflanzen. Zwar wäre es denkbar, im Rahmen einer Risikobewertung zu akzeptieren, dass die Giftkonzentration in den Pflanzen innerhalb bestimmter Bereiche schwankt. Aus Sicht des Vorsorgeprinzips erscheint es jedoch inakzeptabel, dass dieser Schwankungsbereich weder mit geeigneten Methoden definiert wurde, noch die relevanten Einflussfaktoren untersucht wurden und auch keine ausreichend validierten Methoden festgelegt wurden, mit denen die Angaben von Monsanto durch unabhängige Stellen überprüft werden könnten. Dazu kommt, dass der gentechnisch veränderte Mais bisher nicht unter extremen Umweltbedingungen getestet wurde, wie diese im Rahmen des bereits begonnenen Klimawandels auch in manchen Gegenden Deutschlands zu erwarten sind, bzw. wie sie in Einzelfällen bereits zu beobachten waren. Die Situation ist in etwa vergleichbar mit einem Betrieb eines Kernkraftwerkes, bei dem keine ausreichend geprüften Geräte zur Strahlenmessung zur Verfügung stehen und keine exakten Angaben über die tatsächliche Strahlenbelastung vorliegen. Bekannt ist nur, dass der Betreiber dazu unzureichende oder eventuell sogar falsche Angaben gemacht hat. 1.2 Zweifelhafte Risikobewertung des Toxins Bt-Toxine gehören zu einer Gruppe von Giftstoffen, die aus Eiweißen bestehen und dazu in der Lage sind, Zellwände und Membranen durch die Einfügung von zusätzlichen Poren zu öffnen. Dies führt in der Regel zum Tod des Opfers. Nach ähnlichen Prinzipien arbeiten beispielsweise Giftstoffe wie Anthrax (Schnepf et al., 1998; Tilley et al. 2006). Natürlicherweise kommen im Bacillus thuringiensis einige hundert Giftstoffe vor, die international klassifiziert sind und von denen zum Teil eine besondere Wirksamkeit gegen bestimmte Arten von Organismen bekannt sind. Einzelne Gruppen sind auch für Säugetiere nicht ungefährlich, andere sollen nur bei Insekten wirksam sein. Von diesen wiederum kann man Wirkstoffe unterscheiden, die nur gegen bestimmte Gruppen von Insekten wirksam sein sollen wie z.B. Schmetterlinge (Lepidoptera), Käfer (Coleoptera) oder Hautflügler (Hymenoptera). Möglich wird diese selektive Wirkungsweise durch die Natur von Eiweißstoffen (Proteinen): Diese wirken nicht aufgrund besonderer chemischer Eigenschaften wie beispielsweise bei Arsen oder Blausäure, sondern dadurch, dass sie mit dem im Körper in oft komplexe Wechselwirkung treten. Die Giftstoffe werden oft erst im Körper aktiviert, sie müssen bestimmte Strukturen an der Oberfläche von Zellen finden, an denen sie andocken können, bevor sie einen Effekt erzeugen. Betrachtet man nun die Wirkungsweise des Bt-Toxins, das im Mais MON810 produziert wird (und das als Cry1Ab klassifiziert wird), so ist seine Aktivierung in der natürlicherweise vorkommenden Form mehrstufig. Das Toxin liegt zunächst als Spore, das heißt in einer verkapselten Form vor. Im Körper des Insekts, das dieses Gift aufnimmt, wird erst diese Spore geöffnet und das Gift in Lösung gebracht. Dafür ist ein alkalischer pH, wie er im Darm von Insekten vorkommt, nötig. Dann wird durch bestimmte Enzyme im Darm der Insekten das Eiweiß aktiviert, ein Teil wird dabei abgespalten, aus dem Protoxin wird so der wirksame Giftstoff. Dieser Giftstoff legt sich an bestimmte Rezeptoren im Darm der Insekten an, wird dort erneut durch Enzyme gespalten. Erst die jetzt vorliegenden kleineren Bruchstücke des ursprünglichen Eiweißes können sich so in die Zellmembran einlagern, dass die Poren entstehen, die dann zum Tod des Insekts führen. Es ist jedoch noch nicht vollständig geklärt, wie sich die tödliche Wirkung des Proteins genau entfaltet. Sicher ist inzwischen, dass die zwei zurzeit gängigen Theorien die Wirkungsweise von Bt-Toxinen nicht vollständig erklären und dass Darmbakterien ein wichtiger Ko-Faktor sind. (Broderick et al. 2006, 2009) Aufgrund dieser komplizierten Wirkungsweise ist davon auszugehen, dass das natürlicherweise vorkommende Toxin tatsächlich selektiv wirkt, das heißt, nur unter bestimmten Bedingungen, wie sie in einigen Insektenarten anzutreffen sind, zur vollen Wirkung kommt. So gilt das Toxin Cry1Ab, das auch im MON810-Mais gebildet wird, als selektiv wirksam gegen Schmetterlinge (Lepidoptera). Diese werden, insoweit ihre Raupen als Schädlinge (wie die Raupe des Maizünslers) auftreten, als „Zielorganismen“ bezeichnet. Dagegen gelten die meisten sogenannten „Nichtzielorganismen“ als nicht gefährdet, weil bei diesen die Voraussetzungen für den speziellen Wirkungsmechanismus, wie er bei den „Zielorganismen“ beobachtet wird, gar nicht vorliegen. In der bisherigen Risikobewertung des Toxins, wie es in der Pflanze gebildet wird, werden drei möglicherweise schwerwiegende Fehler gemacht: Das in den Pflanzen produzierte Gift wird mit dem natürlicherweise vorkommenden Gift weitgehend gleichgesetzt. Der an den Zielorganismen beobachtete Wirkmechanismus wird vorschnell zum einzig möglichen Wirkmechanismus erklärt. Eine mögliche Wirkung auf Nichtzielorganismen wird schon deswegen pauschal in Abrede gestellt. Ko-Faktoren, die die Giftwirkung möglicherweise verstärken, werden außer Acht gelassen. Diese drei Ebenen sind für die Risikobewertung von Bt-Pflanzen wie MON810 äußerst relevant, sie sollen deswegen im Folgenden vertieft werden. 1.2.1 Das in den Pflanzen produzierte Gift kann dem natürlichen Toxin nicht gleichgesetzt werden In den gentechnisch veränderten Pflanzen kann das Bt-Gift nicht in der Form produziert werden, wie es natürlicherweise vorkommt. Für den Einbau in die Pflanze muss das Gen für das natürlicherweise vorkommende Gift wesentlich verändert werden. (Diehn, 1996) In den Pflanzen liegt es in gekürzter und aktivierter Form vor. (Hilbeck&Schmidt, 2006) Durch die Verkürzung des Proteins wird ein wesentlicher Teil des selektiven Wirkmechanismus, die Aktivierung des Proteins durch spezifische Enzyme im Insektendarm, künstlich vorweggenommen. Das heißt, das Gift muss zuerst aktiviert werden, bevor es eingebaut und in der Pflanze zur Funktion gebracht werden kann. Das stellt die hohe Selektivität der Wirkung des künstlich veränderten Bt- Giftes, das sich nur gegen Raupen bestimmter Schadinsekten richten soll, teilweise in Frage. In der Analogie zu Atomkraftwerken könnte man behaupten, dass zunächst bestimmte Sicherheitssysteme außer Kraft gesetzt werden müssen, bevor das Kraftwerk überhaupt hochgefahren werden kann. Unterschiedliche Labore und Firmen haben unterschiedliche Wege gefunden, das natürliche Bt-Toxin so zu ändern, dass die GV-Pflanzenzellen daraus Proteine bilden können. Fehler in der ursprünglichen gentechnischen Veränderung führen außerdem dazu, dass die eingefügte DNA z.B. in Bruchstücken vorliegt. Durch den Einbau in die Pflanzen werden neue Unterklassen des Toxins Cry1Ab geschaffen, die möglicherweise wiederum unterschiedliche Wirkqualitäten haben. Die in den unterschiedlichen Events wie MON810, Bt176 und Bt11 verwendeten modifizierten Toxine, die alle als Cry1Ab bezeichnet werden, haben unterschiedliche Molekülgrößen. (Hilbeck&Schmidt, 2006) Da bei dieser Toxinart aber die Wirkungsweise insgesamt durch bestimmte Strukturen des Eiweißes definiert wird, kann jede Veränderung an der Form und Größe der Moleküle auch dazu führen, dass diese ein unterschiedliches (erweitertes) Wirkspektrum aufweisen. Diese Fragestellung wurde bisher nicht untersucht, obwohl es unstrittig ist, dass die in den verschiedenen Events gebildeten Proteine biochemisch keineswegs als identisch anzusehen sind. Es gibt auch verschiedenen Hinweise darauf, dass sich die Toxine in ihrer Wirkeffizienz tatsächlich unterscheiden: So produziert MON810 angeblich weniger Toxin in den Pollen der Maispflanzen als Bt176. Trotzdem zeigt sich in Fütterungsversuchen an Schmetterlingsraupen, dass beide Pflanzen dieselbe schädliche Wirkung auf Raupen des Monarchfalters haben. (Dively et al., 2004) Büchs et al. (2004) untersuchten die Wirkung von Bt-Toxinen auf Bodeninsekten und fanden bei MON810 sogar stärkere Effekte als bei Bt176. Ein wesentlicher weiterer Unterschied zum natürlicherweise vorkommenden Toxin ist die Exposition: Im Gegensatz zum natürlicherweise vorkommenden Toxin wird das Bt-Gift in den Pflanzen nicht in relativ kurzer Zeit abgebaut, sondern ist über die gesamte Vegetationsperiode (und darüber hinaus) auf dem Acker vorhanden. Das führt zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von intensiven Kontakten mit Nichtzielorganismen, die sonst mit dem Gift nur sehr viel kürzer oder gar nicht in Berührung kommen würden. Wenn man an dieser Stelle noch einmal die Analogie zur Atomtechnik bemüht, wäre das so ähnlich als würde man die Strahlungsintensität des natürlicherweise vorkommenden Urans zur allgemeinen Grundlage der Sicherheitsbewertung von angereicherten Brennstäben machen. 1.2.2 Die genaue Wirkungsweise der Toxine ist nicht bekannt Bezüglich der Wirkungsweise des Bt-Toxins und im Hinblick auf die genauen Mechanismen, die zum Tod der Insekten führen, bestehen überraschend große Unsicherheiten. So ist bisher in der Risikobewertung völlig außer Acht gelassen worden, dass die Modelle, die zur Erklärung der tödlichen Wirkung an Zielorganismen herangezogen werden, sich in wesentlichen Punkten sogar direkt widersprechen. Laut Broderick et al. (2006) reichen die von verschiedenen Autoren beschriebenen Wirkungsweisen wie die Auflösung der Darmwand und damit ein mögliches Verhungern oder das Eindringen des Toxins in die Lymphe der Insekten und damit eine Blutvergiftung keineswegs als Auslöser für den Tod aus. Broderick et al. (2006, 2009) fanden heraus, dass sogar bestimmte natürlich vorkommende Darmbakterien eine signifikante Rolle bei der toxischen Wirkung spielen. Insekten, bei denen die Darmflora durch Antibiotika abgetötet war, zeigten dagegen keine so deutliche Reaktion auf das Gift. Neben der wissenschaftlichen Bedeutung haben die Studien von Broderick et al. auch rückwirkend einen Effekt auf verschiedene Risikostudien, in denen Nichtzielorganismen zum Ausschluss möglicher Effekte von Krankheiten oder Parasiten prophylaktisch mit Antibiotika behandelt worden waren. D.h. in einigen der bis dato durchgeführten Studien zur Risikobewertung (z.B. Kaatz, 2005) können unbeabsichtigt, wichtige und natürlicherweise vorkommende Ko-Faktoren beseitigt worden sein. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei den Bt-Toxinen um Eiweiße handelt, die zu einer Gruppe von hochwirksamen Giftstoffen gehören, die auch für Menschen äußerst gefährlich sind, erscheint die Abklärung der genauen Wirkungsweise der in den Pflanzen produzierten Toxine eine absolut notwendige und unverzichtbare Voraussetzung, bevor diese Pflanzen für den Anbau und den menschlichen Verzehr zugelassen werden können. 1.2.3 Ko-Faktoren können die Wirkungsweise des Giftes beeinflussen Durch die bereits erwähnte Arbeit von Broderick (2006) ergibt sich neuer Forschungsbedarf. Wenn es stimmt, dass Ko-Faktoren die Wirkungsweise von Bt-Toxinen beeinflussen oder sogar eine Voraussetzung für deren Wirkung sind, ergeben sich weitreichende Fragen: Reagieren beispielsweise Lebewesen, die durch Umweltgifte oder Krankheiten bereits vorgeschädigt sind, wesentlich empfindlicher auf das Gift als völlig gesunde Tiere? Hinweise darauf liefern Studien an Schnecken (Kramatz, 2007) und Bienen (Kaatz, 2005). Auch Experten, die aus den bisher vorliegenden Studien keine Risiken für beispielsweise Bienen ableiten, fordern eine Untersuchung der Wirkung des gleichzeitigen Einwirkens von Ko-Stressoren. (Duan, 2008) 1.2.4 Zusammenfassende Bewertung Zusammenfassend kann bezüglich der offenen Fragen und in Hinblick auf die Sicherheit des Bt- Toxins und die Verkehrsfähigkeit des gentechnisch veränderten Mais folgendes festgestellt werden: Ungewollte Effekte für Nichtzielorganismen können nicht mit hinreichender Sicherheit eingegrenzt oder ausgeschlossen werden, weil die Wirkmechanismen und Wechselwirkungen nicht ausreichend untersucht bzw. nicht hinreichend genau bekannt sind. Bisherige Risikountersuchungen wie Fütterungsstudien und die Untersuchung von dosisabhängigen Effekten kranken an dem Problem, dass die Methoden zur Bestimmung der Wirkstoffkonzentration bisher nicht ausreichend standardisiert sind und noch nicht einmal bekannt ist, ob überhaupt von einer linearen Dosis-Wirkungsbeziehung ausgegangen werden kann. Um das Problem anschaulich zu machen, hier noch einmal der Vergleich mit einem Atomkraftwerk: Falls – unabhängig vom konkreten Risiko – von den Betreibern keine ausreichenden Angaben darüber gemacht werden, wie die Risiken genau abgeschätzt oder kontrolliert werden können, hätte eine Betriebserlaubnis erst gar nicht erteilt werden können. Oder im Vergleich, die Zulassung von Medikamenten: Neue Arzneimittel können nicht zugelassen werden, wenn deren technische Qualitäten nicht ausreichend definiert sind, beziehungsweise deren Nebenwirkungen nicht klar eingrenzbar sind. Es ist nicht vertretbar, dass bei vergleichbaren Risiken oder bei allgemeinen Mängeln im Hinblick auf grundlegende technische Fragen für gentechnisch veränderte Pflanzen wesentlich niedrigere Standards gelten sollen als für andere Produktgruppen, die ebenfalls einer allgemeinen gesetzlichen Zulassungs- oder Genehmigungspflicht unterliegen. Dies ist schon deswegen nicht vorstellbar, weil laut EU-Recht gerade im Bereich der Gentechnik dem Vorsorgeprinzip eine besondere Bedeutung zukommt. Bisher wurden diese Fragen aber weder im Rahmen der Zulassungsverfahren noch im Rahmen der Diskussion um den Anbau in Deutschland ausreichend berücksichtigt, sondern weitestgehend ausgeklammert. Monsanto erwähnt 2007 in den beim BVL für das Monitoring vorgelegten Unterlagen das Problem zwar (genannt wird hier die Studie von Greenpeace, 2007), geht aber im Detail nicht darauf ein. Auch die Stellungnahme der ZKBS zum Bescheid des BVL äußert sich zu diesem Problem nicht (s.u., Abschnitt 3). Die aufgeworfenen Fragen betreffen nicht nur das konkrete Risiko einzelner Nichtzielorganismen, sondern die Verlässlichkeit, Sicherheit und Kontrollierbarkeit des Produktes insgesamt. Bei seiner Entscheidung kann sich die Ebene des Risikomanagements nicht darauf beschränken, die Risikobewertung seiner Experten zur Kenntnis zu nehmen, sondern es müssen u.a. die Voraussetzung der Prüfung, deren Ergebnisse, die Unsicherheiten und die Plausibilität einzelner Szenarien zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Auch die Europäische Kommission hat bereits in etlichen Entscheidungen gezeigt, dass sie sich in ihrer Verantwortung als Risikomanager nicht ausschließlich auf das Votum der EFSA berufen kann. (Then&Lorch, 2008) 2. Bewertung von Studien zu konkreten Risiken Bt-Mais MON810 darf in Europa angebaut und zu Futter- und bestimmten Lebensmitteln verarbeitet werden. Im Anbau ist er Bestandteil eines ökologischen Systems, zu dem eine große Fülle von Organismen gehört. Dabei sind Bodenorganismen, Schmetterlinge und Bienen genauso relevant wie Wildtiere, Rehe, Hasen, Mäuse und Wildschweine. Nur ein Bruchteil der Organismen, die mit dem Bt- Mais in Kontakt kommen können, wurde bisher untersucht. Nachfolgend wird ein kurzer Überblick über aktuelle Publikationen zur Risiken des gentechnisch veränderten Mais MON810 gegeben. Dabei werden zunächst die Risiken für die Umwelt und dann gesundheitliche Risiken diskutiert. 2.1 Risiken für die Umwelt Verschiedene Autoren haben über eine Gefährdung von Schmetterlingsraupen berichtet, darunter auch Raupen von gefährdeten Arten. (Dively et al, 2004, Lang&Vojtech, 2006, Felke&Langenbruch, 2005) Die Gefährdung dieser Raupen ist auf Grund der Wirkungsweise des Toxins zu erwarten. Zwar sind auch Schmetterlingsarten wie Tagpfauenauge und Schwalbenschwanz sogenannte Nichtzielorganismen, doch letztlich gehören sie genauso wie der Maiszünsler (Ostrinia nubilalis) zur Ordnung der Schmetterlinge (Lepidoptera), die auf das Bt-Toxin Cry1Ab empfindlich reagieren. Nach den derzeitigen Einschätzungen sind einige Schmetterlingsarten wie die Kohlmotte sogar empfindlicher gegenüber dem Gift als der Maiszünsler. Die Raupen von Tagpfauenauge, Kleinem Fuchs und Schwalbenschwanz sind gegenüber dem Bt-Toxin ähnlich empfindlich wie die Maiszünslerraupen. (Lang&Vojtech, 2006, Felke&Langenbruch, 2005) Strittig ist also keineswegs ob, sondern im welchem Umfang die Raupen geschützter Schmetterlingsarten durch das Bt-Toxin geschädigt werden. Dazu fehlen bis zum heutigen Tag umfassende Untersuchungen. (Lang&Arndt, 2005) Im Vergleich zur Situation im Jahr 2007 weiß man allerdings mittlerweile, dass der Eintrag von Pollen im Umfeld der Maisfelder, und hier sogar in geschützten Gebieten, wesentlich höher ist als bisher angenommen. Dies zeigt eine Studie des Landesumweltamtes Brandenburg. (LUA, 2008) Die Verfasser stellen fest, dass: „an allen Messstandorten im Ruhlsdorfer Bruch erhebliche Maispolleneinträge festgestellt wurden, die Pollendepositionen Werte von 1,75 Millionen Maispollen/m2 im Nahbereich erreichten und selbst an dem 120 m entfernten, mitten im Schutzgebiet gelegenen Standort, noch 99.000 Maispollen/m2 nachgewiesen wurden.“ Die Verfasser fordern in diesem Zusammenhang, deutlich größere Anstrengungen zu unternehmen, um Schmetterlinge vor dem Eintrag mit Gen-Pollen zu schützen. Es gibt eine Reihe von Untersuchungen, die Effekte an Nichtzielorganismen zeigen, die nicht zur Gruppe der Lepidoptera gehören. Zu den Studien, die in den vergangenen Jahren bereits in verschiedenen Übersichtsartikeln (Reviews) ausgewertet wurden (Lövei&Arpaia, 2005; Marvier et al., 2007; Greenpeace, 2007 und Mertens, 2006), sind in jüngerer Zeit neue Studien hinzugekommen, die Belege für Effekte von Cry1Ab auf Nichtzielorganismen erbringen, die nicht zur Gruppe der Schmetterlinge gehören. So fanden Schmidt et al. (2008) negative Effekte auf Marienkäferlarven, die erstens biologisch zur Gruppe der Käfer (Coleoptera) und zweitens landwirtschaftlich/gärtnerisch zu den räuberischen Nutzinsekten (Prädatoren) gehören. Untersucht wurden die Mortalität bei Larven und Puppen und die Gewichtsentwicklung. Dabei zeigten die Larven von Marienkäfern, die mit Cry1Ab gefüttert wurden, eine signifikant höhere Sterblichkeit als die Vergleichstiere. Dieser Effekt zeigte sich auch bei sehr geringen Konzentrationen. Damit verdichten sich die Hinweise, dass die vom BVL im April 2007 geäußerte Auffassung richtig ist, dass durch den Anbau von gentechnisch verändertem Mais MON810 insbesondere räuberische (und meist nützliche) Insekten (Prädatoren) gefährdet sind. Tatsächlich reichert sich das Gift in der Nahrungskette erheblich an, so dass Prädatoren einer höheren Toxinbelastung ausgesetzt sein können, als die Raupen des Maiszünslers. (Obrist, 2006) Nach dem ursprünglichen Bescheid des BVL ist insbesondere von Risiken für die Florfliege und die Schlupfwespe auszugehen. Die Ergebnisse, die jetzt an Marienkäferlarven gewonnen wurden, sollten dazu führen, dass auch die im ursprünglichen Bescheid des BVL (April 2007) zitierten Publikationen noch einmal bewertet werden. Hier handelt es sich offensichtlich nicht nur um einen Effekt, von dem einzelne Tierarten betroffen sind, sondern um einen Effekt, der verschiedene Nützlinge betreffen kann, die für das ökologische Gleichgewicht und die biologische Schädlingsbekämpfung wichtig sind. Weiterhin besorgniserregend sind aktuelle Studien, bei denen Effekte an Bienen nachgewiesen wurden. Ramirez-Romero (2008) zeigt, dass die Lernfähigkeit von Bienen, die zu den Hymenoptera, Nacktflüglern gehören, durch die Bt-Toxine beeinträchtigt werden kann. Dies kann für eine Bienenpopulation verheerende Folgen haben, falls dadurch auch die Orientierung der Bienen bei der Futtersuche gestört wird. Wenn beispielsweise die Kommunikation der Bienen durch Schäden an einzelnen Tieren beeinträchtigt wird, kann die Futtersuche aller Bienen eines Stockes betroffen sein. Dagegen ging das BVL bisher in seiner Bewertung davon aus, dass Bienen grundsätzlich nicht beeinträchtigt würden. Vor diesem Hintergrund müssen auch Untersuchungen von Kaatz (2005) und Ramirez-Romero et al. (2005) noch einmal neu bewertet werden. Insgesamt scheint das Risiko für Honigbienen – und vermutlich auch für geschützte Solitärbienen – wesentlich höher als bisher angenommen. Eine grundsätzliche Lücke in der Risikobewertung zeigen Studien zur Gefährdung von Wasserinsekten. Douville et al. (2008) zeigten, dass es zu einer Anreicherung des Toxins im Wasser und Sediment kommen kann und dass sich das Bt-Toxin dann sogar in Süsswassermuscheln findet. Bøhn et al. (2008) zeigen die Gefährdung von Wasserflöhen und Rosi-Marshall et al. (2007) die Beeinträchtigung von Köcherfliegenlarven. Die Gefährdung von Wasserorganismen – oder auch nur die Frage, in welchem Maße Bt-Toxin in Oberflächgewässer gelangt – wurde bisher in der Risikobewertung fast gar nicht berücksichtigt. Monsanto nennt zwar in seinem Monitoring-Report, der 2007 den europäischen und deutschen Behörden vorgelegt wurde, eine Studie von Douville et al. (2007), ignoriert aber die damals bereits vorliegende Studie von Rosi-Marshall (2007). Da dem Schutz der Ökologie aquatischer Systeme gerade in agrarisch genutzten Gebieten besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss, führt das Fehlen einer ausreichenden Risikobewertung dazu, dass die Verkehrsfähigkeit des gentechnisch veränderten Mais MON810 grundsätzlich in Frage gestellt werden muss. Die wenigen bisher vorliegenden Studien deuten auf eine Gefährdung von Gewässern am Rande von Feldern, auf denen Bt-Mais angebaut wird, hin. Dabei kann eine nicht näher eingrenzbare Zahl von Wasserorganismen betroffen sein. Handelt es sich dabei um Fließgewässer, könnten auch stromabwärts gelegene Gebiete betroffen sein. Die aktuellen Studien zur Gefährdung von Nützlingen, von Bienen und Gewässersystemen wurden bisher von den Zulassungsbehörden nicht bewertet, sie werden allenfalls im Bericht von Monsanto erwähnt, den die Firma den deutschen Behörden Ende März vorgelegt hat. Bei der Bewertung dieser Daten wird es jetzt auf eine umfassende Interpretation der Daten ankommen, die die einzelnen Ergebnisse in einen größeren Kontext stellt: Es ist in diesem Zusammenhang zu prüfen, inwieweit eine Gefährdung der Populationen von empfindlichen Nichtzielorganismen bzw. ihrer Ökosysteme tatsächlich ausgeschlossen werden kann. Aus den bisher vorliegenden Untersuchungen (siehe Lövei&Arpaia, 2005; Marvier et al., 2007) wird klar, dass bislang noch keine abschließende Beurteilung möglich ist. Dennoch liegen inzwischen weitere Publikationen vor, die die These einer konkreten Gefährdung verschiedener Nichtzielorganismen stützen. Seit der Diskussion um den Anbaustopp von 2007 hat sich die Faktenlage also zu Ungunsten des umstrittenen Anbaus von MON810 entwickelt. In dieser Situation und angesichts der bereits ausgelaufenen Zulassung müssen sich die Prioritäten des Risikomanagements jetzt stärker an den Bedürfnissen der Risikoforschung und der Vermeidung von Gefahren orientieren als an den finanziellen Interessen der Saatgutverkäufer. Eine weitere Frage lautet: Inwieweit müssen die hier beobachteten Effekte als Indikatoren für eine weitreichende Störung der Nahrungsnetze und der Ökologie in der Umgebung von Feldern mit gentechnisch verändertem Mais gewertet werden? Sieht man sich die Liste der Organismen an, bei denen negative Effekte durch Bt-Toxine gefunden wurden (u.a. Bodenorganismen, Wasserinsekten, bestäubende Insekten und Raubinsekten), so sind systemische Auswirkungen auf das Ökosystem insgesamt zu erwarten, auch wenn einzelne Effekte, bezogen auf die jeweiligen Arten, noch nicht als so gravierend erscheinen. Möglich erscheint beispielsweise auch die Ausbreitung neuer Krankheiten im Maisanbau. Auch das ist ein guter Grund, den Anbau zu stoppen. Denn dieses Vorgehen stünde in Übereinstimmung mit dem Vorsorgeprinzip, das die Grundlage des Risikomanagements der EU ist. Es müssten in der Folge geeignete Testsysteme entwickelt und Versuche unter kontrollierten Bedingungen durchgeführt werden, um die verschiedenen Tierarten als Gesamtsystem zu erfassen und mögliche Entwicklungsszenarien ausreichend simulieren zu können. Derartige Forschungsprojekte können nicht durch fallspezifisches Monitoring oder allgemeine Beobachtungssysteme ersetzt werden. Die EU-Regelungen sehen vor, dass die eigentliche Risikoforschung nicht Bestandteil des Anbaumonitorings ist. (2002/811/EG) Drittens muss die Frage gestellt werden, wie es bei einem Gift mit der behaupteten hohen Selektivität überhaupt dazu kommen kann, dass an so vielen und an so unterschiedlichen Nichtzielorganismen negative Effekte beobachtet werden. Diese Fragestellung betrifft wiederum die ganz grundsätzliche Frage nach der Verkehrsfähigkeit von gentechnisch veränderten Pflanzen, die ein Insektengift enthalten, dessen Wirkmechanismen nicht vollständig verstanden werden und dessen Wirkung möglicherweise durch Ko-Faktoren bedingt und/oder verstärkt wird. Diese dritte Fragestellung stellt die Grundlage der derzeitigen Sicherheitsbewertung grundsätzlich in Frage und muss vor dem Hintergrund der vorliegenden Untersuchungsergebnisse das Vorsorgeprinzip auslösen und zu einem Anbaustopp führen. 2.2. Gesundheitliche Risiken Es gibt eine Reihe von Untersuchungen zu möglichen Gesundheitsrisiken des gentechnisch veränderten Mais MON810. Auch Monsanto selbst hat eine Fütterungsstudie an Ratten vorgelegt (Hammond, 2006), die verschiedene Auffälligkeiten zeigte, aber von den deutschen und EU-Behörden bisher nicht beanstandet wurde. Als Beweis für die gesundheitliche Unbedenklichkeit von MON810 wird in letzter Zeit auch eine Fütterungsstudie an Rindern in Bayern angeführt, die über 25 Monate lang mit gentechnisch verändertem Mais gefüttert wurden.2) Dabei wurden allerdings nur begrenzt gesundheitliche Daten erhoben. Im Vordergrund stand die Rückverfolgbarkeit von Bestandteilen aus gentechnisch veränderten Pflanzen in Fleisch und Milch. Dies wird hier nicht diskutiert. Bisher wurden neben der Frage, ob spezifische Gene aus dem gentechnisch veränderten MON810 auch in Milch und Fleisch übergegangen waren, nur einige wenige Angaben über Leistungsdaten der Kühe gemacht. Noch sind nicht alle Ergebnisse tatsächlich veröffentlicht. In einem Fütterungsversuch an Mäusen, der im Auftrag der österreichischen Behörden durchgeführt wurde, hatten Tiere die mit gentechnisch verändertem Mais (MON810 gekreuzt mit NK603) weniger Nachkommen als die Vergleichsgruppe. (Velimirov et al., 2008) Die Ergebnisse wurden im Netz publiziert, sind bisher aber nicht in einer Peer-reviewed-Form verfügbar. Deswegen sollen sie hier nicht im Detail diskutiert werden. Allerdings ist es für die Diskussion um die Sicherheit des gentechnisch veränderten Mais bedeutsam, dass ähnliche Studien, die zum Beispiel im Rahmen der Zulassung von Pestiziden oder Arzneimitteln üblich sind, mit gentechnisch veränderten Pflanzen bisher nur äußerst selten durchgeführt wurden, beziehungsweise von den Zulassungsbehörden nicht verlangt werden. Vor diesem Hintergrund haben die in Österreich durchgeführten Versuche eine exemplarische Bedeutung, die über das konkrete Versuchsergebnis hinausgeht. Weitere Lücken in der derzeitigen Risikozulassung machten Valenta&Spök (2008) deutlich, die im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) eine Metanalyse der Daten aus Versuchen mit gentechnisch veränderten Erbsen vorlegten. (Prescott et al., 2005) In dieser Studie wird u.a. folgender Sachverhalt festgehalten: „Die Prescott-Studie zeigt eindeutig, dass ein transgenes Protein unter bestimmten Bedingungen eine unerwartete Immunreaktion auslösen kann, die zu Organschäden führen kann. Bestimmte Experimente zeigen zudem, dass der Kontakt mit dem transgenen Protein sogar dazu führen kann, dass die Immunwirkung anderer nicht beteiligter Proteine, die zeitgleich verabreicht werden, verstärkt wird – ein Befund, der bei den derzeitigen Risikobewertungen nicht gefunden werden würde. In diesem Zusammenhang zeigt die Prescott-Studie einen dringenden Bedarf für eine Neubewertung des Allergie-Risikos von GVO.“(Übersetzung durch die Verfasser) Die Untersuchung ist für die aktuelle Diskussion vor allem deswegen wichtig, weil zwei aktuelle Studien tatsächlich auffällige Immunreaktionen bei Versuchstieren im Kontakt mit Cry1Ab zeigen. Finamore et al. (2008) zeigen, dass insbesondere junge und alte Tiere (Mäuse) auf den Verzehr von MON810 mit auffälligen Reaktionen des Immunsystems reagieren. Es wurden drei Wochen alte Mäuse nach dem Abstillen und relativ alte Mäuse (18-19 Monate) mit MON810 gefüttert. Insbesondere das Immunsystem der Verdauungsorgane zeigte signifikante Reaktionen, die über das Blutbild der Tiere bestimmt wurden. Diese Studie ist deswegen besonders besorgniserregend, weil bei Säugetieren während des Wachstums auch die Prägung des Immunsystems erfolgt und damit die Grundlage für nachfolgende Krankheiten wie Allergien gelegt werden. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen also ein Gesundheitsrisiko insbesondere für heranwachsende Menschen (und Tiere). Diese Studie macht zudem, über die konkreten Versuchsergebnisse hinaus, deutlich, dass es einen erheblichen Forschungsbedarf gibt. Denn es existieren bisher keine vergleichbaren Studien, und von den Zulassungsbehörden werden sie nicht verlangt. Eine weitere äußerst relevante Studie ist die von Kroghsbo et al. (2008). Die Wissenschaftler fanden bei Fütterungsversuchen an Ratten mit gentechnisch verändertem Reis, der Cry1Ab enthielt, auffällige Immunreaktionen sowohl beim Verzehr der Pflanzen als auch bei der Inhalation von Stäuben über die Atemwege. Diese Effekte erinnern an die Studie von Prescott et al. (2005). Hier hatten gerade Inhalationsversuche das wahre Gefährdungspotential der gentechnisch veränderten Erbsen gezeigt, deren Zulassung daraufhin gestoppt wurde. Kroghsbo et al. (2008) verweisen auf verschiedene Studien, die an Menschen durchgeführt wurden, die mit Cry1Ab in Kontakt gekommen waren und die ebenfalls deutliche Reaktionen des Immunsystems zeigten. Sie fordern ausdrücklich, erst umfassende immunologische Untersuchungen durchzuführen, bevor gentechnisch veränderte Pflanzen zur Vermarktung freigegeben werden: „It is important to make careful considerations when designing future animal studies to avoid intake of proteins from the other groups by inhalation as well as to examine the sensitization and elicitation potential of ‚foreign‘ proteins before introduction to the world market.“ Angesichts offensichtlich unzureichender Untersuchungsmethoden, die derzeit von Behörden wie der EFSA akzeptiert werden, die beispielsweise nicht geeignet sind, um Gefährdungen des Immunsystems mit der nötigen Sorgfalt zu untersuchen (Valenta, 2008) und angesichts der Studien von Prescott et al. (2005), Finamore et al. (2008) und Kroghsbo et al. (2008) ist ein Anbau- und Vermarktungsstopp von MON810 dringend zu empfehlen. 3. Kritische Prüfung der Argumente, die von BVL und ZKBS als Beweis für die Sicherheit von MON810 vorgebracht werden Wie bereits erwähnt ist wissenschaftlich nicht nachvollziehbar, warum das BVL im Jahr 2007 innerhalb weniger Monate ein und dieselbe Studien völlig unterschiedlich interpretiert. Der schließlich vom BVL akzeptierte Plan zur Überwachung des Anbaus ist in keiner Weise dem angemessen, was ursprünglich im Bescheid des BVL gefordert wurde (BVL, 2007, 1; siehe auch Lorch&Then, 2008). Das einzige (den Autoren bekannte) öffentlich zugängliche Dokument, das sich mit dem ursprünglichen Bescheid des BVL inhaltlich detailliert auseinandersetzt und an dessen Erstellung Mitarbeiter der Behörden beteiligt waren, ist eine Stellungnahme der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit, ZKBS, vom Juli 2007. Darin führt die ZKBS vier Punkte an, um den Bescheid des BVL zu entkräften. Im Folgenden sollen diese Argumente der ZKBS kritisch geprüft werden: Die Anreicherung des Bt-Toxins in der Nahrungskette sei – so die ZKBS – eine bereits bekannte Tatsache. Daraus ließe sich kein spezifisches Gefährdungspotential ableiten. Dieses Argument führt die ZKBS anhand von zwei Nützlingen, der Larve der Florfliege und der Schlupfwespe, näher aus: Die Gefährdung von Florfliegenlarven ist nach Ansicht der ZKBS durch eine Untersuchung von Romeis&Meissle (2006) widerlegt worden. Dabei übersieht die ZKBS allerdings, dass sich der Versuchsaufbau von Romeis deutlich von dem ursprünglichen Versuchsaufbau von Hilbeck et al. (1998 und 1999) unterscheidet (siehe hierzu auch: Hilbeck, 2006). Die Versuche von Romeis&Meissle (2006) sind also keine wirklich wissenschaftlich tragfähige Widerlegung der Gefährdung von Florfliegen. Diese wurde in mehreren Versuchen gezeigt. Weiterhin verweist die ZKBS darauf, dass die Florfliegenlarve gar nicht den entsprechenden Rezeptor aufweise, um vom Bt-Toxin geschädigt zu werden (Rodrigo-Simón et al., 2006). Gefährdungen von Nichtzielorganismen a priori in Abrede zustellen, ist, wie in dieser Kurzstudie ausgeführt, eine wissenschaftlich unzulässige Methode. Zu Effekten auf die Larve der Schlupfwespe führt die ZKBS aus, dass diese vermutlich nur dann geschädigt werde, wenn sie in einer Maiszünslerraupe parasitiere, die durch das Bt-Gift geschädigt wurde. Dadurch wäre die Futtergrundlage der Larven einfach wesentlich schlechter als gewöhnlich. Diese Überlegung klingt logisch, ist aber noch kein Beweis dafür, dass die Schlupfwespenlarven nicht doch durch das Toxin geschädigt werden, wenn sie dieses zusammen mit ihrer Beute aufnehmen. Zum Thema Schmetterlinge geht die ZKBS vor allem auf die Studie von Diveley et al. (2004) ein. Die ZKBS stellt fest, dass die Konzentration an Bt-Toxinen in den Pollen von MON810 eigentlich viel zu gering sei, um einen deutlichen Schaden an Schmetterlingsraupen auszulösen. Divley et al. (2004) fanden aber eine Schädigung von Raupen des Monarchfalters von über 20 Prozent, ähnlich hoch wie bei Verfütterung von Bt-Pollen mit wesentlich höherem Bt-Gehalt als in MON810. Die ZKBS erklärt diesen Widerspruch damit, dass Dively et al. (2004) nur etwas länger untersucht hätten, nämlich über den gesamten Zeitraum in dem Mais blüht. Damit wären die Untersuchungen von Dively et al. (2004) also sogar besonders relevant, weil sie genauer als vergleichbare Untersuchungen sind. Doch der ZKBS ist offensichtlich nur daran gelegen, die Untersuchungen von Dively et al. (2004) grundsätzlich in Frage zu stellen und nicht ihre entscheidenden Aussagen zu prüfen. Deswegen stellt die ZKBS in ihrer Interpretation der Versuchsergebnisse in den Vordergrund, dass laut Computerberechnungen von diesem nachgewiesenen Effekt insgesamt nur ein geringer Anteil der gesamten Population des Monarchfalters in den USA betroffen sei. So führt die Stellungnahme der ZKBS gleich mehrfach in die Irre: Erstens handelt es sich bei den über 20 Prozent geschädigter Raupen um eine Tatsache, bei der Computersimulation jedoch nur um eine Hochrechnung, in der viele Faktoren unberücksichtigt bleiben. Zweitens geht es im Bescheid des BVL um eine Gefährdung deutscher Schmetterlinge. Für diese ist nur relevant, dass die Raupen einer Schmetterlingsart, die in ihrer Empfindlichkeit gegenüber dem Bt-Toxin durchaus mit europäischen Arten vergleichbar ist, durch den Pollen von MON810 erheblich geschädigt werden kann. Nicht relevant für die Beurteilung des Risikos von Schmetterlingen, die in Deutschland vorkommen, sind aber Computermodelle, die sich auf das Verhalten des Monarchfalters in den USA stützen. Dieser ist dafür bekannt, dass er im Laufe seines Lebens über weite Strecken migriert und damit mit vielen verschiedenen Futterplätzen in Berührung kommt. Zur Verweildauer des Bt-Toxins im Boden verweist die ZKBS darauf, dass es keine Daten gebe, die eine Anreicherung bewiesen. Die ZKBS bestätigt aber, dass auch ohne Anreicherung davon auszugehen ist, dass das Bt-Toxin über die Vegetationsperiode hinaus auf dem Acker nachweisbar ist. Außer Acht lässt die ZKBS die Tatsache, dass der Nachweis des Bt-Toxins im Boden methodisch immer noch große Schwierigkeiten bereitet und dass bei Versuchen nur ein relativ kleiner Anteil des Bt-Toxins im Boden wiedergefunden werden kann. Neben der Stellungnahme der ZKBS wurden vom BVL bei der Aufhebung des ursprünglichen Bescheides auch Unterlagen berücksichtigt, die die Firma Monsanto 2007 in seinem Monitoring- Bericht zur Verfügung gestellt hatte. Vogel (2008) zeigt im Auftrag von Greenpeace ausführlich, dass auch diese Unterlagen die Aufhebung des ursprünglichen Bescheides nicht rechtfertigen: „Die von Monsanto selbst durchgeführten Risikostudien sind meist alt und entsprechen nicht mehr den Ansprüchen an eine moderne Risikoabschätzung. Daten aus unabhängigen Studien behandelt Monsanto parteiisch. So werden Studien, in denen Umweltwirkungen festgestellt wurden, von Monsanto entweder nicht berücksichtigt oder aufgrund methodischer Mängel als nicht relevant eingestuft. Bei Studien hingegen, in denen keine Effekte beobachtet wurden, unterlässt es Monsanto, methodische Mängel zu diskutieren. Die Befangenheit des Konzerns zeigt sich auch beim Umgang mit der bestehenden Unsicherheit. Obwohl Monsanto mehrere Studien zitiert, in denen die Unsicherheit des Wissens betont wird, geht Monsanto weder auf diese Unsicherheit ein noch berücksichtigt das Unternehmen die in den Studien geäußerten Empfehlungen, vor einem großflächigen Anbau mehr Untersuchungen durchzuführen.“ Insgesamt muss man also feststellen, dass die Aufhebung des ursprünglichen Bescheides des BVLs vom April 2007 nicht ausreichend durch wissenschaftliche Fakten gedeckt ist. Es ist die Aufgabe der Regierung, als oberste Instanz des nationalen Risikomanagements dafür zu sorgen, dass die Gründe für die Aufhebung des Bescheides noch einmal auf den Prüfstand kommen. 4. Welche rechtlichen Möglichkeiten bieten das europäische und deutsche Gentechnikrecht für ein Anbauverbot von MON810 in Deutschland? Der Anbau von MON810 lässt sich in Deutschland auf Grundlage des § 20 Abs. 2 GenTG, der das Vorsorgeprinzip umsetzt, verbieten. Das Vorsorgeprinzip ist im deutschen und europäischen Gentechnikrecht in mehreren Regelungen verankert: 4.1.Vorsorgeprinzip im europäischen und deutschen Gentechnikrecht „Ziel des Vorsorgeprinzips ist es, die menschliche Gesundheit und Umwelt im Falle von Kontakten mit gentechnisch verändertem Material so zu schützen, dass etwaigen Beeinträchtigungen schon weit vor deren Entstehung – also auf der Ebene bloßer Risiken – zu begegnen ist. Vorsorge hat also über die einfache Gefahrenabwehr hinaus vor dem Eintritt von Gefahren zu beginnen.“ (Callies et al., 2004) Das Vorsorgeprinzip findet sich ausdrücklich in den Art. 1 und 23 der europäischen Freisetzungsrichtlinie, die das Inverkehrbringen von Gentechnik-Pflanzen wie MON810 in Verbindung mit der Verordnung 1829/2003 regelt, sowie in den Erwägungsgründen 8 und 24 der Richtlinie (Stufenprinzip als Ausdruck der Vorsorge). Die Schutzklausel des Art. 23 der Freisetzungsrichtlinie und seine Umsetzung in § 20 Abs. 2 GenTG und somit in deutsches Recht sieht die Möglichkeit vor, das Inverkehrbringen von GVO vorübergehend zu untersagen, wenn aufgrund neuer oder zusätzlicher Informationen, die Auswirkungen auf die Risikobewertung haben, oder aufgrund einer Neubewertung der vorliegenden Informationen auf der Grundlage neuer oder zusätzlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse ein berechtigter Grund zu der Annahme besteht, dass der gentechnisch veränderte Organismus eine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt. Die deutsche Umsetzung des Vorsorgeprinzips erfolgte in § 1 Nr. 1 und daneben in § 20 Abs. 2 GenTG. Der Gesetzgeber stellte dazu klar: „Die Aufnahme des Begriffs der Vorsorge in den Gesetzestext erfolgt zur Klarstellung und setzt insbesondere Artikel 1 Abs. 1, Artikel 4 Abs. 1 und Erwägungsgrund 8 der Richtlinie 2001/18/EG um, die den Vorsorgegrundsatz als Regelungsgrundlage für die Richtlinie ausdrücklich benennen.“ (Bt-Drs. 15/3088 v. 5.5.2004 S. 21, Hervorhebungen durch die Verfasser) Art 4. Abs. 1 der europäischen Freisetzungsrichtlinie 2001/18 EG verlangt unabhängig vom verfahrensrechtlichen Stand eines Zulassungsverfahrens die Anwendung des Vorsorgeprinzips: „Die Mitgliedstaaten tragen im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip dafür Sorge, dass alle geeigneten Maßnahmen getroffen werden, damit die absichtliche Freisetzung oder das Inverkehrbringen von GVO keine schädlichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt hat.“ (Hervorhebungen durch die Verfasser) In dieser Studie sind wissenschaftliche Erkenntnisse über die Risiken von MON810 für die menschliche Gesundheit und die Umwelt dargelegt worden (vgl. Punkt 2), die weder im europäischen Zulassungsverfahren von MON810 noch im BVL-Bescheid vom April 2007 berücksichtigt wurden und die damit neu oder zusätzlich im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Freisetzungsrichtlinie und § 20 Abs. 2 GenTG sind. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse geben klare Anhaltspunkte über die Risiken des Anbaus von MON810 für die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Damit sind die Voraussetzungen für eine vorübergehende Anordnung des Ruhens der Inverkehrbringensgenehmigung von MON810 für die Bundesrepublik Deutschland gegeben. Um den Risiken zu begegnen, die in der vorliegenden Kurzstudie dargelegt werden, reicht es nicht, dass die Bundesregierung den Bericht über die Erfüllung eines wissenschaftlich fragwürdigen allgemeinen Monitorings zum Anbau von MON810 prüft, ohne weitere Maßnahmen zu veranlassen. Stattdessen kann und muss die zuständige oberste Bundesbehörde entsprechend des Vorsorgeprinzips darüber hinausgehende Schritte zur Vorsorge ergreifen, um einen entsprechenden Schutz im Sinne der Freisetzungsrichtlinie und des GenTG zu gewährleisten. Der von Monsanto vorgelegte und insbesondere seitens des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) kritisierte allgemeine Monitoringplan bietet mit den tatsächlich daraus zu gewinnenden Erkenntnissen keine Möglichkeit, die diskutierten Risiken im Sinne des Vorsorgeprinzips zu klären. Erforderlich ist vielmehr ein fallspezifisches Monitoring, das eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anhang II der Richtlinie 2001/18/EG voraussetzt. Diese Umweltverträglichkeitsprüfung wurde jedoch noch immer nicht durchgeführt. Somit wurden die Vorgaben des Bescheides des BVL vom 27.04.2007 für ein spezifisches Monitoring entsprechend der Entscheidung 2002/18/EG nicht erfüllt und seitens des BVL fehlerhaft nicht gefordert. Das heißt, dass Monsanto seit nunmehr drei Jahren aufgrund einer Genehmigungsfiktion und ohne Einhaltung der geltenden Vorschriften in der Bundesrepublik Deutschland MON810 in den Verkehr bringt. 4.2. Vorgaben der Rechtsprechung für ein Verbot von MON 810 auf Grundlage des Vorsorgeprinzips Der europäische Gerichtshof (EuGH) und das europäische Gericht (EuG) haben zu Fragen der Vorsorge in einigen Urteilen die Anforderungen an das Vorsorgeprinzip konkretisiert. Die europarechtliche Rechtssprechung verlangt für die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen nach der Schutzklausel, dass die Argumentation nicht mit einer rein hypothetischen Betrachtung des Risikos begründet wird, die auf bloße, wissenschaftlich noch nicht verifizierte Vermutungen gestützt wird. Positiv wird formuliert: „Nach der Rechtssprechung des Gerichtshofes ergibt sich aus dem Vorsorgeprinzip, dass bei Unsicherheiten hinsichtlich des Vorliegens oder des Umfangs von Risiken für die menschliche Gesundheit Schutzmaßnahmen getroffen werden, ohne dass abgewartet werden muss, dass das Bestehen oder die Schwere vollständig dargelegt werden muss. […]Daher können Schutzmaßnahmen […] auch dann getroffen werden, wenn sich die Durchführung einer möglichst umfassenden wissenschaftlichen Risikobewertung in Anbetracht der besonderen Umstände des konkreten Falls wegen der Unzulänglichkeit der verfügbaren wissenschaftlichen Daten als unmöglich erweist. (Vgl. hierzu in diesem Sinne Urteile Pfizer Animal Health/Rat Randnrn 160 und 162 sowie Alpharma/Rat, Randnrn. 173 und 175)Derartige Maßnahmen setzen insbesondere voraus, dass die Risikobewertung, über die die nationalen Behörden verfügen, spezifische Indizien erkennen lassen, die ohne die wissenschaftliche Unsicherheit zu beseitigen, auf der Grundlage der verlässlichsten verfügbaren wissenschaftlichen Daten und der neuesten Ergebnisse der internationalen Forschung vernünftigerweise den Schluss zulassen, dass die Durchführung dieser Maßnahmen geboten ist, um zu verhindern, dass neuartige Lebensmittel, die mit potenziellen Risiken für die menschliche Gesundheit behaftet sind, auf dem Markt angeboten werden.“ (Vorlageentscheidung EuGH 09.09.2003 C – 236/01 Monsanto, Hervorhebungen durch die Verfasser) Im Fall Pfizer wurde entschieden, dass Zusatzstoffe in der Tierernährung, die möglicherweise zu einer Antibiotikaresistenz beim Menschen führen können, verboten werden. Im Verfahren wurde deutlich, dass die Klärung dieser Frage aufwändiger Langzeitforschungen bedarf. Der EuGH bestimmte: „Insbesondere ist festzustellen, dass der Vorsorgegrundsatz es den Gemeinschaftsorganen erlaubt, im Interesse der menschlichen Gesundheit, aber auf der Grundlage noch lückenhafter wissenschaftlicher Erkenntnisse, Schutzmaßnahmen zu erlassen, die sogar erheblich in geschützte Rechtspositionen eingreifen können, und den Organen insoweit ein weites Ermessen eingeräumt wurde.“ (Urteil EuG T 13/99 Pfizer Animal Health, Slg. 2002, S.II-3305, Rd 170) Wie in der vorliegenden Studie unter 2.2. dargestellt wurde, haben sich anhand von Fütterungsversuchen mit MON810 verschiedenste offene wissenschaftliche Fragen ergeben, die noch nicht abschließend geklärt sind. Mit den Hinweisen auf Probleme beim Inhalieren neuer Stoffverbindungen und der Möglichkeit von Erkrankungen des Immunsystems sind spezifische Indizien für neue Risiken für die menschliche Gesundheit gegeben. Die direkte Aufnahme von MON810 durch den Menschen erfolgt zwar nur bei wenigen Produkten wie Honig, Pollen und einigen Nahrungsmittel aus der Lebensmittelverarbeitung. Zu bedenken ist jedoch, dass über landwirtschaftliche Arbeiten sehr wohl eine relativ große Anzahl von Menschen in Kontakt mit Stäuben kommen kann, die Cry1Ab enthalten. Aufgrund des grundsätzlich bestehenden Risikos für die menschliche Gesundheit ist jedenfalls auch hier durch das BVL eine neue Risikobewertung anhand der genannten Untersuchungen vorzunehmen. Bis zu einer Entscheidung zur Neuzulassung von MON810 ist die Inverkehrbringensgenehmigung aufgrund der ungeklärten Risiken zum Ruhen zu bringen. (§ 20 Abs. 2 GenTG). Gefordert ist durch den EuGH nämlich ein hohes Schutzniveau insbesondere bei Fragen der Gesundheit des Menschen. „Zwar ist den Gemeinschaftsorganen eine rein hypothetische Betrachtung des Risikos und eine Ausrichtung ihrer Entscheidungen auf ein „Nullrisiko“ untersagt (siehe oben Randnummer 145), doch müssen sie ihre Verpflichtung aus Artikel 129 Abs. 1 Unterabsatz 1 des Vertrages beachten, ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen, das um mit dieser Vorschrift vereinbar zu sein, nicht unbedingt das in technischer Hinsicht höchstmögliche sein muss.“ (Urteil EuG T 13/99 Pfizer Animal Health, Slg. 2002, S.II-3305, Rd 153) Über die Risiken für die menschliche Gesundheit hinaus wurden eine Reihe weiterer Risiken für die Umwelt dargestellt (vgl. 2.1.). Auch hier gilt der Vorsorgegrundsatz. Dies ergibt sich u.a. aus der gleichberechtigten Aufzählung der weiteren Schutzgüter im § 1 Nr. 1 GenTG. Danach sind insbesondere auch für die Umwelt in ihren Wechselwirkungen, für die Pflanzen und Tiere Vorsorge gegen vorhandene oder mögliche Risiken zu treffen. Wie gezeigt werden konnte, ist für die Vorsorgemaßnahme eines vorläufigen Verbots nicht der Ausschluss eines Restrisikos gefordert. Mit Restrisiko bezeichnete das Bundesverfassungsgericht „Gefahrenpotenziale, die außerhalb der Grenze der praktischen Vernunft liegen“. (BVerfG 08.08.1978, 2 BvL 8/77) Im Sinne dieser Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Atomrecht konkretisierte das OVG Berlin, dass „auch Schadensmöglichkeiten in Betracht zu ziehen sind, die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht, noch verneint werden können“ (OVG Berlin, Beschluss vom 10.08.1998 2 S 8/97). Die in der vorliegenden Studie genannten wissenschaftlichen Gutachten zeigen, dass – aufgrund der Beschaffenheit des Bt-Toxins im MON810 und seiner bislang nicht geklärten Wirkungsweise – für eine Reihe von Risiken tatsächlich bestimmte Ursachenzusammenhänge für Nichtzielorganismen weder bejaht noch verneint werden können. Weiteres Augenmerk muss in diesem Zusammenhang auf die Defizite der bisherigen europäischen Risikobewertung gelegt werden. Das BVL richtete sich in der Vergangenheit bezüglich seiner Risikobewertung nach den Einschätzungen der Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) und nach der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Das GMO-Panel der EFSA weist eine Unterbesetzung mit Experten für Naturschutzfragen auf. „Insgesamt sei die EFSA eher auf Gesundheits- statt auch auf Naturschutz ausgerichtet.“ (Winter, NUR 2006, 571 ff.) Bei der Risikobewertung von MON810 bestehen somit auch aus strukturellen Gründen Ungleichgewichte bei der Bewertung der Risiken bezüglich des Umweltschutzes. 4.3. Möglichkeiten einstweiliger Maßnahmen durch die zuständige oberste Bundesbehörde 4.3.1. Voraussetzungen der Ruhensanordnung § 20 Abs. 2 GenTG Derzeit kann sich Monsanto auf eine fiktive Genehmigung zum Inverkehrbringen nach § 16 Abs. 2 S. 2 GenTG (entspricht Art. 17 Abs. 9 Freisetzungsrichtlinie) berufen und MON810 zum kommerziellen Anbau vertreiben. Sobald jedoch nach Genehmigung oder im Verlängerungsverfahren neue oder zusätzliche Informationen zur Gefahr durch MON810 bestehen, kann das BVL das Inverkehrbringen vorübergehend untersagen. (§ 20 Abs. 2 GenTG) Die vorliegende Studie zeigt zum einen neue Risiken auf und führt zum anderen zusätzliche Erwägungen aus, die die Annahme begründen, dass MON810 Gefahren für Mensch und Umwelt in sich birgt. Zumindest sind diese wissenschaftlich nicht auszuschließen, so dass die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 GenTG erfüllt sein dürften. Auch angesichts der Inanspruchnahme der Schutzklausel durch fünf weitere europäische Staaten, steht die Prüfung der Möglichkeit der Schutzklausel außer Frage. In Frankreich wurde das Verbot auf Auswirkungen für die Umwelt gestützt. (Verweis in Entscheidung des BVL, 1, Journal officiel de la Republique francaise vom 05.08.1998, S. 11985) Wie gezeigt werden konnte, liegen eine Reihe neuer Informationen aus neuen Studien vor. Darüber hinaus ist aufgrund der dargelegten Mängel auch eine Neubewertung einzelner Studien geboten. Insbesondere die Auswertung der ZKBS muss erneut bewertet werden. Zwar wird nach § 20 Abs. 2 GenTG der Behörde nach Vorliegen des Tatbestands ein Entschließungsermessen eingeräumt. Schon im Gesetzgebungsverfahren wurde jedoch darauf hingewiesen, dass das Ermessen, ob einzuschreiten ist, wegen der hohen Wertigkeit der Schutzgüter auf Null reduziert ist. „Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe und insbesondere bei der Ausübung des Ermessens zu berücksichtigen ist, dass je nach Fallkonstellation die große Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter den Handlungsspielraum der Behörde einschränken und auch auf Null reduzieren kann. Insbesondere wenn ein gentechnisch veränderter Organismus im Vergleich mit dem Ausgangsorganismus ein höheres Invasionspotenzial hat, sich dauerhaft in der Natur etablieren kann, natürliche Populationen beeinträchtigt oder zu schwer abbaubaren Substanzen im Naturhaushalt führt, wird regelmäßig ein Einschreiten der Behörde geboten sein.“ (BtDr. 15/3344 S. 41. Zu Nr. 16 (§ 20, Hervorhebungen durch die Verfasser) 4.3.2 Verhältnismäßigkeitsprinzip steht Verbot nicht entgegen Verhältnismäßigkeit der Vorsorge beinhaltet im europäischen genau wie im nationalen Recht Anforderungen im Hinblick auf Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit einer Regelung. Ähnlich wie die deutschen Gerichte beachten die EU-Gerichte im Rahmen ihrer Verhältnismäßigkeitskontrolle den Entscheidungsspielraum der zuständigen Organe. Die Verletzung des Geeignetheitsgebots als Bestandteil der Verhältnismäßigkeit kann nach der Rechtsprechung von EuGH und EuG nur dann festgestellt werden, wenn die Vorsorgemaßnahme zur Erreichung des Zieles, das das zuständige Organ verfolgt, offensichtlich ungeeignet ist. Offensichtlich ungeeignet ist nur die evident wirkungslose Vorsorgemaßnahme, eine Maßnahme also, für die feststeht, dass sie keine schützende Wirkung hat. (Köck, 2004 mit Verweisen auf die europäische Rechtsprechung) Diese offensichtliche Ungeeignetheit ist bei der vorläufigen Untersagung des Inverkehrbringens von MON810 nach der Schutzklausel der europäischen Freisetzungsrichtlinie nicht gegeben. Die vorläufige Untersagung wäre unabhängig von der Frage der Ergebnisse des Monitoring erforderlich, da die Untersuchung der genannten Risiken weder mit dem allgemeinen Monitoring von Monsanto, noch mit dem zunächst vom BVL geforderten fallspezifischen Monitoring in der Kürze der Zeit zu klären sind. Monsanto muss zunächst die Prüfungsmethoden und die Risiken für die Gesundheit der Menschen und der Umwelt klären. Die europäische Rechtsprechung verlangt bezüglich der Maßnahmen eine Kosten-Nutzen-Analyse. (Urteil EuG T 13/99 Pfizer Animal Health, Slg. 2002, S.II-3305, Rdnr. 410) Auch in Deutschland wird insoweit eine Abwägung verlangt. (BVerwG 30.08.1996, /VR 2/96) Für Monsanto wären mit dem Verbot von MON810 in Deutschland geringe wirtschaftliche Verluste verbunden. Laut amtlichem Anbauregister ist der Anbau von MON810 auf 3616 Hektar im Jahr 2009 vorgesehen. Dies entspricht nur rund 0,15 Prozent der zu erwartenden Maisanbaufläche in Deutschland. Es wird davon ausgegangen, dass beim Mais ein Preisaufschlag von etwa 35 bis 40 Euro pro Hektar für die gentechnische Veränderung verlangt wird. (Schiefer et al., 2008). So summiert sich der Umsatzanteil des Saatguts für die gentechnische Veränderung auf 126.560 bis 144.640 Euro. Dieser Umsatzverlust wäre für Monsanto ab 2010 relevant, da das Saatgut für 2009 bereits verkauft ist. Ein Verbot von MON810 vor der diesjährigen Aussaat wäre mit Kosten in der Größenordnung von 700.000 Euro verbunden, da die betroffenen Landwirte Ersatzsaatgut beschaffen müssten. Diese Kosten sind jedoch angesichts des Nutzens eines Verbots, des Schutzes vor Risiken für höherrangige Rechtsgüter wie die Gesundheit und die Umwelt, verhältnismäßig. Dabei ist auch zu beachten, dass durch ein Verbot von MON810 Folgekosten des Anbaus von genverändertem Mais vermieden werden, die durch notwendige Koexistenzaufwendungen bzw. Maßnahmen zum Resistenzmanagement und der Überwachung notwendig wären. Ein vorübergehendes Verbot ist auch ein verhältnismäßiger Eingriff in die geschützten Rechte von Monsanto entsprechend einer Einzelfallabwägung. Monsanto kann sich aufgrund der Ausnutzung des langen Zeitraums der Übergangsregelung für das Inverkehrbringen nicht auf eine gesicherte Rechtsposition berufen. 4.3.3. Kein Verstoß gegen Warenverkehrsfreiheit Das vorläufige Untersagen des Inverkehrbringens ist kein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit. Nach Art. 30 EGV sind Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit aus nichtwirtschaftlichen Gründen möglich. Dazu zählen insbesondere der Schutz der Gesundheit von Menschen und der Schutz von Tieren und Pflanzen. (EuGH v. 5.5.1998 – C- 180/96 (BSE), Slg 1998, 1-2265, Rdnr. 99, EuG vom 11.9.2002 – T- 13/99 Pfizer, Slg 2002, II-3305 Rdnr. 139) Die ausgewerteten Studien zeigen, dass Gefahren für die Gesundheit der Menschen und für die Umwelt insbesondere für Nichtzielorganismen nicht ausgeschlossen werden können. 4.4. Fazit Die oberste Bundesbehörde BVL muss nach den vorliegenden und ausgewerteten Studien und nach einer notwendigen Neubewertung der bekannten Studien zu einer erneuten Bewertung bezüglich der Risiken von MON810 kommen. Angesichts der Risiken für betroffene Schutzgüter wie die Gesundheit des Menschen, gefährdete Nichtzielorganismen und ganze Ökosysteme ist eine vorläufige Untersagung des Inverkehrbringens von MON810 geboten und erforderlich, um dem Vorsorgeprinzip, das im deutschen und europäischen Gentechnikrecht verankert ist, zu entsprechen. Dem stehen weder die Warenverkehrsfreiheit noch das Verhältnismäßigkeitsprinzip entgegen. Dies gilt insbesondere aufgrund des langen Zeitraums einer fehlenden Zulassung nach den geltenden inhaltlichen Forderungen an Erzeugnisse der Risikotechnologie Gentechnik. 5. Schlussfolgerungen Die vorliegende Kurzstudie zeigt, dass sich seit dem Jahre 2007, als in Deutschland zuletzt über ein Anbauverbot des gentechnisch veränderten Mais MON810 diskutiert wurde, weitere konkrete wissenschaftliche Hinweise auf eine Gefährdung von Mensch und Umwelt durch MON810 ergeben haben. Zudem ist noch deutlicher geworden, dass es erhebliche Lücken bei der Risikobewertung des Bt-Toxins gibt, das in den MON810-Pflanzen gebildet wird. Angesichts der hier vorgelegten Dokumente, den naturwissenschaftlichen Analysen und der juristischen Bewertung kann kein Zweifel daran bestehen, dass ein Verbot des Anbaus (und der Vermarktung von entsprechenden Produkten als Lebens- und Futtermittel) von MON810 in Deutschland in der Sache richtig und rechtlich geboten ist.