Bezahlbarer Wohnraum für Alle 18. Mai 2018 Der Vereinsamung entgegenwirken durch neue gemeinschaftliche Wohnformen „Bezahlbarer Wohnraum für Jung und Alt“. Unter diesem Motto luden der Stadtverband von Bündnis90/Die Grünen Alzenau in Zusammenarbeit mit engagierten Bürgerinnen am vergangenen Samstag zu einem Themennachmittag ins Maximilian-Kolbe Haus in Alzenau ein. Etwa 35 Gäste hatten Gelegenheit, sich über zukunftsweisende Wohnprojekte aus der Umgebung zu informieren. Hintergrund ist die für die kommenden Jahre geplante Umwandlung des Firmengeländes „Wellpappe“ in ein neues Wohngebiet. Am Beispiel tagesaktueller Wohnungsinserate stellte Susanna Scherer (Sprecherin Stadtverband B90/Die Grünen Alzenau) in ihrer Begrüßung die Problematik dar: Insbesondere für Familien mit zwei bis drei Kindern, alleinstehende Ältere oder Alleinerziehende gäbe es kaum passenden oder bezahlbaren Wohnraum, da meist Drei-Zimmer-Wohnungen für 900,- bis 1400,- Euro Warmmiete oder sehr kleine Wohnungen für Wochenend-Heimfahrer zu finden seien. Weiter betonte sie, dass Leistungsorientierung und Individualisierung heute häufig zu Stress und Vereinzelung führten, da der soziale Zusammenhalt mehr und mehr fehle. Es gelte, Wohnformen zu entwickeln, die dem entgegenwirken und Begegnung sowie ein hilfsbereites Miteinander förderten, während, anders als in der früheren Großfamilie, zugleich ausreichend Freiheit und Privatsphäre erhalten bleiben müssten. Dies werde in Mehrgenerationen-Wohnhäusern auf moderne Weise kompromisshaft verbunden. Angesichts sonst eher hochpreisiger Neubauprojekte sei es auch für Alzenau wichtig, das Augenmerk verstärkt auf bezahlbaren Wohnraum zu richten. Ökologische Standards seien heute damit ebenfalls längst vereinbar. Nachdem Claudia Neumann (Stadträtin B90/Die Grünen) und Burkard Jung (B90/Die Grünen) die anwesende Prominenz willkommen geheißen hatten, verwies der stellvertretende Bürgermeister Ralph Ritter (FW/PWG) in seinem Grußwort darauf, dass aufgrund der Großstadtnähe und der hohen Nachfrage die Preise für Wohnraum in Alzenau seit Jahren stiegen. Bürgermeister und Stadtrat seien aber sehr um gute Lösungen bemüht. Das „Wellpappe“-Firmengelände gehe voraussichtlich 2022 in den Besitz der Stadt Alzenau über. Ritter versprach, die Veranstaltungsinformationen sorgfältig zu berücksichtigen. Anschließend stellte Sabina Prittwitz die Referenten vor: Zunächst informierten Anne Abb und Gabi Saal-Bauer, beide Mitbegründerinnen, über das Mehrgenerationen-Wohnprojekt „Wohnen in Gemeinschaft e. V.“ (WiGe e.V.) in Aschaffenburg. 2003 als Idee mit drei weiteren Mitstreiterinnen geboren, wurde das Projekt 2011 mit 26 Wohneinheiten und der Stadtbau Aschaffenburg als Träger in einem umgebauten ehemaligen Kasernengebäude in der Spessartstraße verwirklicht. Vier der Wohnungen wurden damals von Alleinerziehenden mit deren Kindern bewohnt, die bei Bedarf von der Hausgemeinschaft mitbetreut wurden, das Konzept der so genannten „Wahlverwandtschaften“ trage zu dem starken Zusammenhalt im Haus bei, so Abb. Die Bewohner und Bewohnerinnen zahlen eine moderate Miete (zwischen 7 und 8 Euro/qm2 incl. Gemeinschafts- und Gästeräumen) sowie eine Anfangseinlage für gemeinschaftliche Anschaffungen. Jeden Monat gebe es eine Hausversammlung, in der Entscheidungen basisdemokratisch getroffen würden, was zwar eine gewisse Geduld abverlange, aber auch zu einer hohen Zufriedenheit in der Wohngemeinschaft führe. Auf die Frage aus dem Publikum, wie Gemeinschaft in der WiGe e.V. konkret gelebt werde, berichteten die anwesenden Bewohner*innen der WiGe, natürlich gebe es auch Konflikte, wie in jeder Gemeinschaft. Dennoch werde ein freundlich achtsames und hilfsbereites Miteinander gelebt. Es gebe tatsächlich auch keinen Aufgabenplan für Hausdienste oder ähnliches. Es funktioniere auch so. Die Hausgemeinschaft veranstalte Filmabende im Winter, wöchentliche Angebote für Gymnastik und Yoga und einmal im Monat eine für alle offene Einladung zum Kaffee, sodass ein reger Austausch mit dem Quartier um das Haus herum bestehe. Im zweiten Vortag stellte Jörg Weber zunächst die OEKOGENO e.G. vor. Ziel dieser, aus der ehemaligen Ökobank hervorgegangenen, Genossenschaft sei es, zukunftsweisende Projekte im Sinne einer solidarischen Gemeinwohl-Ökonomie umzusetzen. Dafür würden regenerative Energien gefördert und Initiativen, die soziale Integration förderten unterstützt, jeweils mit einem starken regionalen Bezug. OEKOGENO verstehe sich dabei vor allem als Brückenbauerin zwischen interessierten Bürgern und Bürgerinnen und Entscheidungsträgern. Sie gebe Hilfestellungen zu Finanzierungsmöglichkeiten, der Gründung von Genossenschaften und praktische Unterstützung bei der Planung und Umsetzung von sozialen und ökologischen Projekten. Weber berichtete am Beispiel eines aktuellen Projektes in Ilbenstadt (am Wetterauer Dom), wie ein solch integratives, gemeinschaftliches Wohnquartier aufgebaut sein kann. In 35 Wohnungen werde auch hier ein genossenschaftlicher Ansatz für inklusive Wohnformen angezielt. In Ilbenstadt beinhalte die Planung neben dem Schwerpunkt auf Menschen mit Kindern, auch Senioren-Wohnungen (mit Pflegebedarf) und sogar zwei Hospizplätze, da einer der künftigen Bewohner Palliativmediziner sei und dies betreuen wolle. Statt Mietspekulation sollen eine faire, aber kostendeckende Miete, Vielfalt und Teilhabe sowie der Quartiergedanke in den Wohnformen verwirklicht werden. Auf dem Areal sind ein kleiner Laden mit regionaler Bioware, Café oder Weinstube sowie Veranstaltungen für die Öffentlichkeit geplant, um den Austausch mit der Dorfumgebung lebendig zu halten. Mit den Nachbarn sei man bereits in der Planungsphase in Workshops zur Nutzung der verschiedenen Gebäude auf dem Areal in regen Austausch getreten, um eine hohe Akzeptanz in der dörflichen Gemeinschaft zu erreichen. Wenn dies gewünscht werde, schloss Jörg Weber, stünde die OEKOGENO Genossenschaft auch den Alzenauer Bürgerinnen und Bürgern bei der Gründung einer Wohngenossenschaft oder Planung eines Mehrgenerationen-Wohnprojekts beratend zur Seite. Die beiden kurzweiligen Vorträge schlossen jeweils mit zahlreichen interessierten Fragen und Diskussionsrunden. In Ergänzung zur kürzlich abgehaltenen Bürgerwerkstatt zum Thema, konnten auch hier die Gäste ihre eigenen Ideen, Anregungen und Wünsche für die Neugestaltung des „Wellpappe“-Geländes aufschreiben, sodass diese dem Stadtrat übermittelt werden können. Angesichts dieses anregenden Themennachmittags dürfen Alzenauer Bürger*innen weiterhin gespannt und interessiert sein, wie es mit dem Wellpappe-Areal weitergehen wird. Eigenes Engagement ist in dieser Sache durchaus gefragt!