Resolution des Bundesvorstandes und der Landesvorstände zu den rechtsterroristischen Taten in Deutschland

Entschieden gegen Rechts

Resolution des Bundesvorstandes und der Landesvorstände von BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN aus der Sitzung vom 15. November 2011:

Wir sind entsetzt über das Ausmaß der menschenverachtenden Gewalt, die
mit rechtsextremistischen Hintergründen in Deutschland verübt wurde. Die
Morde, Anschläge und Gewaltaktionen, die der Terrorgruppe
„Nationalsozialistischer Untergrund“ zugeordnet werden, zeigen die
Existenz rechtsterroristischer Strukturen und bedeuten eine völlig neue
Dimension rechtsextremistischer Bedrohung in Deutschland. Diese
Bedrohung muss von Staat und Gesellschaft entschieden bekämpft werden.

Die Opfer dieser Rechtsterroristen sind Menschen, die nur deshalb
sterben mussten, weil sie dem Feindbild entsprachen, das Rechtsextreme
von Menschen haben, die nicht ihrer Gesinnung oder ihrem Menschenbild
entsprechen. Die Verbrechen sind deshalb auch ein Anschlag auf das
friedliche Zusammenleben in unserem Land, den wir nicht hinnehmen
dürfen. Man kann sich kaum vorstellen, was in den Familien der Opfer vor
sich geht, die sich seit Jahren mit der Frage quälen, warum ihre
Angehörigen und FreundInnen kaltblütig am helllichten Tag ermordet
wurden. Der Umgang mit den Taten zeigte sich nicht zuletzt im Namen der
zuständigen und bis 2008 ermittelnden Sonderkommission „Bosporus“, wie
voreingenommen die Ermittlungen offenbar geführt wurden. Wir fordern
alle Verantwortlichen auf, sich für diese Vorverurteilung zu
entschuldigen und durch eine Geste deutlich zu machen, dass wir alle die
Trauer dieser Menschen teilen und sie nicht alleine sind.

Es ist unfassbar und nur schwer zu glauben, dass in Deutschland offenbar
über fast eine Dekade hinweg Morde und Anschläge aus rechtsextremem
Motiv heraus geschehen konnten, ohne dass eine Spur zu den Tätern
geführt haben soll. Dass die verantwortlichen Behörden in Thüringen,
Hessen und Sachsen offenbar auf dem rechten Auge blind waren, ist
unerträglich.

Wir fordern daher eine rasche, öffentlich geführte und transparente
Aufklärung über mögliche Ermittlungsfehler in den betroffenen Ländern.
Vor allem die Rolle des Landesverfassungsschutzes in Thüringen, Hessen
und Sachsen muss genau aufgeklärt werden. Wenn bekannte
Rechtsextremisten als V-Leute geführt werden, wenn der Verdacht besteht,
dass die Terroristen mit „legalen illegalen“ Ausweispapieren
ausgestattet wurden, und wenn sich jetzt die Nähe von
Verfassungsschützern zu Tätern und Tatort offenbaren, dann stellt sich
auch die Frage nach der Rolle der Verfassungsschutzbehörden. Es wäre
politisch unerträglich, wenn Ermittlungen gegen Rechtsterroristen durch
Verfassungsschützer verhindert worden wären, in dem sie deren Abtauchen
womöglich deckten. Parlamente in Bund und Ländern müssen die Vorgänge
einschließlich möglicher Verwicklungen des Verfassungsschutzes und
Ermittlungsfehler rückhaltlos aufklären – und zwar öffentlich und auch
mit Untersuchungsausschüssen.

Es ist auch nicht länger hinnehmbar, dass sich rechtes Gedankengut
hinter dem Parteienprivileg versteckt und die verfassungsfeindliche NPD
mit öffentlichen Mitteln finanziert wird. Deshalb müssen konsequent die
Voraussetzungen für ein erfolgreiches Verbotsverfahren geschaffen
werden. Sollte sich herausstellen, dass Teile des Verfassungsschutzes
statt einer aufklärenden eine eskalierende und unterstützende Funktion
in rechten Kreisen einnimmt, ist ein solcher Einsatz von V-Leuten nicht
weiter zu akzeptieren. Damit ließe sich auch diese Begründung gegen ein
NPD-Verbotsverfahren nicht weiter aufrecht erhalten.

Dabei wäre es allerdings ein großer Irrtum zu glauben, dass ein solches
Verfahren und mögliches Verbot der NPD das schwerwiegende Problem, dass
in Teilen in unserer Gesellschaft rechtsextremistisches Gedankengut
verbreitet ist, automatisch löst. Vielmehr gilt es, dass aus den
Anschlägen und Angriffen von Solingen, Mölln, Hoyerswerda und Rostock
sowie den weit über 150 Todesopfern rechtsextremer und rassistischer
Gewalt seit 1990 endlich die richtigen Schlüsse gezogen werden. Es geht
hier um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Der Kampf gegen Rechts
muss wieder zu einer zentralen Aufgabe aller demokratischen Kräfte werden.

Gerade auch deshalb zeigt sich, wie falsch und gefährlich der Weg von
Ministerin Schröder ist, die mit ihrem kruden Extremismusbegriff die
Gefahren des Rechtsextremismus verharmlost. Seit Jahren wird die
zivilgesellschaftliche Arbeit gegen Rechtsextremismus immer mehr
gegängelt und behindert, stehen jene unter Verdacht, die sich vor Ort
rechten Gruppen entgegenstellen und wichtige Präventivarbeit leisten. So
hat es rund um die Anti-Nazi-Demos in Dresden eine beispiellose
Repressionswelle gegenüber linken und antifaschistischen Gruppierungen
gegeben. Das war und ist unverantwortlich.

Wir fordern die sofortige Streichung der „Extremismus-Klausel“ in den
Förderprogrammen gegen „Extremismus“. Die Kürzungen im Haushalt 2012 bei
der Demokratieförderung und der Antidiskriminierungsstelle müssen in
einem ersten Schritt umgehend rückgängig gemacht werden.