Weg mit dem Bremsklotz – die Energiewende entschlossen voranbringen

PRESSEDIENST BUENDNIS 90/DIE GRUENEN Bundesvorstand
Dr. Jens Althoff, Pressesprecher
Platz vor dem Neuen Tor 1 * 10115 Berlin

Datum: 05.03.2012

Beschluss des Bundesvorstands und des Parteirats zur Energiewende

Weg mit dem Bremsklotz – die Energiewende entschlossen voranbringen

Am 11. März jährt sich zum ersten Mal die Katastrophe von Fukushima.

Etwa 16.000 Menschen verloren damals ihr Leben durch das schwere
Erdbeben und den darauffolgenden Tsunami. Unsere Trauer über die Opfer,
unser Mitgefühl mit allen Japanerinnen und Japanern und unser Entsetzen
über den Super-GAU sind auch ein Jahr nach diesen furchtbaren
Ereignissen nicht erloschen, sondern begleiten uns immer noch. Daher
rufen wir auch am 11. März zur Teilnahme an Demonstrationen in
Deutschland auf, um ein Zeichen der Solidarität und des Mitgefühls zu
setzen.

Die doppelte Naturkatastrophe führte zu einer dritten Katastrophe – dem
Super-GAU in mehreren Reaktorblöcken des Atomkraftwerks Fukushimi
Daiichi. Etwa 150.000 Menschen wurden evakuiert oder verließen ihre
Häuser und ihre Heimat freiwillig aus Angst vor der Strahlenbelastung.
Einige von ihnen sind trotz der Strahlenbedrohung in ihre Heimat wieder
zurückgehrt. Andere, deren Häuser näher an den havarierten Reaktoren
stehen, werden lange Zeit nicht zurückkehren können. Niemand kann bis
heute seriös sagen, was in den betroffenen Atomreaktoren aktuell vor
sich geht, welche Gefahren dort weiter entstehen. Die Katastrophe ist
noch lange nicht vorbei.

All das passierte, obwohl parallele Super-GAUs in den Reaktorblöcken
eines Atomkraftwerks kaum vorstellbar waren und über Jahrzehnte hinweg
von der Atomlobby kategorisch ausgeschlossen worden waren.

Die große Mehrheit der Japaner wünscht sich eine Zukunft ohne Atomkraft.
Aktuell sind wegen Sicherheitsüberprüfungen nur noch zwei der 54
japanischen Atomreaktoren in Betrieb. Dennoch konnte die Stromversorgung
sichergestellt werden. Aber die Atomlobby drängt darauf, die nach
Fukushima vom Netz genommenen Atomkraftwerke schnell wieder
hochzufahren, sogar noch bevor die AKW-Stresstests abgeschlossen sind.
Trotz massiven Widerstands in der Bevölkerung sollen zwei Reaktoren in
der Provinz Fukui schon in den nächsten Wochen wieder in Betrieb
genommen werden. In dieser Auseinandersetzung fordern wir Grüne wie
unsere japanischen Freundinnen und Freunde: Stoppt das Wiederanfahren!

In Deutschland hat die Katastrophe von Fukushima zur einzigen, richtigen
Konsequenz geführt: zum breiten Konsens über den endgültigen
Atomausstieg bis 2022. Nur ein Jahr nach dem schwarz-gelben „Herbst der
Entscheidungen“ und der damaligen Verlängerung der AKW-Laufzeiten musste
die schwarz-gelbe Koalition damit eine völlige Kehrtwende vornehmen und
ihr Scheitern eingestehen. Die beharrlichen Proteste der
Anti-Atom-Bewegung, das über 30jährige Festhalten an einer Ablehnung der
Atomtechnologie in und außerhalb der Parlamente durch die Grünen haben
Union und FDP zur Anerkennung der Realität gezwungen. Wir Grüne haben
deswegen die Bundesregierung beim Atomausstiegsbeschluss unterstützt,
und ambitionierte Konzepte zum Thema Sicherheit der noch laufenden AKWs
sowie zur Endlagersuche nach streng wissenschaftlichen Kriterien
gefordert. Zugleich haben wir deutlich gemacht, dass der Ausstieg
alleine nicht reichen wird. Der endgültige Ausstieg kann nur gelingen,
wenn er einher geht mit einer breit angelegten Energiewende, die auf die
Erneuerbaren Energien, die Steigerung der Energieeffizienz und die
Senkung des Energieverbrauchs setzt. Dafür braucht es einen Masterplan
Energiewende, der den breit angelegten Umbau des Energiemarktes und des
gesamten Energieversorgungssystems genauso berücksichtigt wie den
forcierten Ausbau Erneuerbarer Energien, die Umgestaltung und den Ausbau
der Netzinfrastruktur sowie Speichermöglichkeiten und energiesparender
Technologien.

Die Energiewende setzt auf Erneuerbare Energien, auf Energieeinsparung
und auf Energieeffizienz. Auf allen drei Feldern blockiert Schwarz-Gelb.

Erneuerbare Energien: Mit ihren jüngsten Entscheidungen, die Vergütung
von Solarstrom drastisch zu kürzen, steht die Bundesregierung einer
erfolgreichen Energiewende nicht nur im Wege, sondern sie entpuppt sich
immer mehr als Bremsklotz. Leidtragende sind nicht nur die zahlreichen
deutschen Solarunternehmen, die über Nacht in ihrer Existenz bedroht
sind, sondern auch viele Mittelständler und Handwerker, die mittelbar
von der Solarwirtschaft abhängen.

Mit tiefgreifenden Eingriffen in das EEG wie der Ermächtigung zu
Vergütungskürzungen ohne Parlamentsbeteiligung und dem Wegfall der
Vergütungspflicht für Teile des eingespeisten Solarstroms bereitet die
Koalition zugleich einen Ausstieg aus der erfolgreichen EEG-Förderung
vor, der im nächsten Schritt auch die Windenergie treffen könnte.
Geplante Offshore-Windparks können schon heute nicht realisiert oder ans
Netz genommen werden, weil die Bundesregierung sich zwar gerne als
Freund des Netzausbaus gibt, in Wahrheit aber durch ihre Untätigkeit
dringend nötige Neubauprojekte blockiert. Auch beim Ausbau der
Stromspeicher geschieht nichts. Dabei müssen nach 2020 kostengünstige
und technologisch ausgereifte Speichermöglichkeiten einsatzbereit sein.
Auf europäischer Ebene ist Dank Schwarz-Gelb das einst von Kanzlerin
Merkel selbst durchgesetzte CO2-Einsparziel von 20 Prozent bis 2020 in
Frage gestellt und damit der Klimaschutz blockiert, weil die Minister
Rösler und Röttgen alle konkreten Energieeffizienzmaßnahmen erbittert
bekämpfen.

Energieeffizienz: Hier ist auf einst von Kanzlerin Merkel selbst
durchgesetzte Ziele von 20 Prozent mehr Effizienz in der Europäischen
Union bis 2020 in Frage gestellt, weil die Minister Röttgen und Rösler
für möglichst große Unverbindlichkeit kämpfen.

Und die Politik von Schwarz-Gelb zeigt auch in der Energiepolitik ihre
soziale Schieflage. Während die großen Energiekonzerne geschont werden
und immer mehr energieintensive Unternehmen von den Netzentgelten und
der EEG-Umlage befreit werden, sollen Mittelständler und Privatkunden
die Kosten für die Energiewende völlig alleine schultern.

Gleichzeitig wird ein ambitioniertes Klimaschutzziel verhindert und der
Emissionshandel untergraben.

Energieeinsparung: Nachdem erst die Zuschüsse der Kreditanstalt für
Wiederaufbau gesperrt wurden, gibt es heute keine Bewegung bei der
steuerlichen Begünstigung für die energetische Gebäudedämmung.

Mit dem Atomausstieg 2011 und dem Ziel einer Energiewende hat
Deutschland im letzten Jahr das weltweit beachtete Signal gesendet, dass
die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt ihre Zukunft in der
Energieversorgung nicht länger in atomaren und fossilen Energieträgern
sieht, sondern in den Erneuerbaren. Dies war nicht nur für das Klima
eine gute Botschaft, sondern auch für die vielen innovativen
Unternehmen, die die dafür nötigen Ideen und Konzepte bereits entwickelt
haben, sowie für die Investoren, die nach Jahren der
Planungsunsicherheit wieder Vertrauen gefasst haben, um in die deutsche
Energieversorgung zu investieren. Schwarz-Gelb macht dies alles durch
seine Bremsklotz-Politik nun wieder zunichte. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
fordern daher einen umgehenden Kurswechsel in der Energiepolitik mit
ambitionierten Zielen und entschlossenem Handeln:

Die Erneuerbaren Energien ausbauen statt abwickeln:
– Bis 2020 wollen wir 45 Prozent des Stroms in Deutschland durch
Erneuerbare Energien erzeugen.
– Statt Kürzungsorgien im Hauruckverfahren soll das EEG mit Augenmaß
weiterentwickelt und Vergütungssätze an die Marktentwicklung angepasst
werden.
– Die Verordnung zur Verhinderung der Stromeinspeisung muss gestoppt werden.
– Die Marktprämie soll schnell und deutlich gekürzt und stattdessen
alternative Vermarktungsformen gestärkt werden, etwa im Regelenergiemarkt.
– Anstatt wie derzeit zu beobachten beim Marktanreizprogramm für
erneuerbare Wärme zu kürzen, soll das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz
auf schon bestehende Immobilien und Bauten erweitert werden.

Die Energieeffizienz erhöhen und nicht verhindern:
– Deutschland muss die Blockade der Energieeffizienz-Richtlinie auf
EU-Ebene endlich aufgeben. Dies gilt insbesondere für die
Einsparverpflichtung der Energieversorger in Höhe von 1,5 Prozent des
Jahresabsatzes.
– Deutschland muss den Weg frei machen für ambitionierte
Klimaschutzziele in Europa. Bis 2030 sollen die Treibhausgase um 30
Prozent reduziert werden. Die Menge der CO2-Zertifikate muss
entsprechend reduziert werden.
– Ein neuer Energiesparfonds in Höhe von 3 Mrd. Euro soll die
energetische Sanierung von Stadtquartieren mit einem hohen Anteil
niedriger Einkommen sozial abfedern.
– Mit einem europäischer Top-Runner-Ansatz sowie verbindlichen
Energieverbrauchsgrenzen wollen wir Elektrogeräte, Autos und Gebäude
energieeffizienter machen.

Netze ausbauen statt nur darüber zu reden:
– Die Bundesregierung muss endlich ihren Beitrag leisten, dass die
Anbindung von Offshore-Windparks an das Übertragungsnetz vollzogen
werden kann. Notfalls bedarf es auch der öffentlichen Ausschreibung für
den Neubau von Stromtrassen.
– Beim Netzausbau kann nicht länger über die Köpfe der Menschen hinweg
entschieden werden. Deshalb fordern wir die frühzeitigere und
umfassendere Bürgerbeteiligung sowie die Möglichkeit einer
Teilverkabelung, um lokale Konflikte beim Leitungsneubau fair
auszutragen oder gar zu vermeiden.
– Für den Bau des neu zu schaffenden Gleichstromnetzes soll eine
deutschen Netz AG gegründet werden.

Belastungen der Energiewende fair verteilen:
– Die Ausnahmen für die Industrie bei Energiesteuern, Umlagen und
Netzentgelten sollen wieder auf Branchen mit hohem Energieverbrauch und
internationalem Wettbewerbsdruck beschränkt werden. Damit werden
Privatverbraucher und der Mittelstand entlastet.
– Die Strompreisbildung muss transparent und nachvollziehbar sein.
– Für Eigentümer und Mieter müssen die Beratungsleistungen deutlich
ausgeweitet werden.