Die dreisten Falschbehauptungen von Röttgen und Co.

Kommentierung aus dem Büro von Jürgen Trittin – MdB

Um ihre atompolitische Retropolitik und ihren gesellschaftlichen Konfrontationskurs zu rechtfertigen, schrecken Bundesumweltminister Röttgen und die schwarz-gelbe Regierung auch nicht vor dreisten Unwahrheiten zurück. Die frechsten Lügen und gängigsten Angriffe gegen den rot-grünen Ausstiegskonsens haben wir zusammengestellt.

 

1)

„Rot-grün hat im Jahr 2000 den Ausstieg beschlossen, aber den Einstieg versäumt.“

Falsch! Der Atomausstieg war zugleich der erfolgreiche Einstieg in die Energiewende. Dieser Einstieg wurde von CDU, CSU und FDP massiv blockiert.
Der Atomausstieg wurde begleitet unter anderem von der Einführung des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG), der Ökosteuer und dem daraus finanzierten Marktanreizprogramms (MAP) für Erneuerbare Energien im Wärmebereich. Damit haben wir Deutschland zum Spitzenreiter bei Erneuerbaren Energien gemacht. Jede dieser Maßnahmen wurde gegen den erbitterten Widerstand von Union und FDP in Bundestag wie Bundesrat durchgesetzt. Hinzu kam die Einführung des Emissionshandels für mehr Energieeffizienz in der Industrie – mit dem sich auch Teile der SPD schwertaten.
Die grün-rote Energiewende in Zahlen: Heute arbeiten über 340.000 Menschen in der EEBranche, über 17 % des Stroms kommen heute aus erneuerbaren Quellen. Allein im Jahr 2009 wurden 72 Mio. Tonnen CO2 im Stromsektor vermieden und über 20 Mrd. Euro wurden in den Bau neuer Anlagen investiert. Erneuerbare Energien vermeiden inzwischen Energieimporte im Wert von 5,7 Mrd. Euro.
Diese Erfolgsgeschichte will Schwarz-Gelb stoppen: das Wachstum der Erneuerbaren soll gebremst werden. Das Energiekonzept der Bundesregierung folgt einem „Kompass“ wonach sich der jährliche Zubau von Windkraftanlagen an Land um 65%, der von Solarstromanlagen um über 70 % und der von Biomasseanlage um 85 % gegenüber heute verringert. Die Bundesregierung setzt Technologievorsprung und Weltmarktführerschaft bei den Erneuerbaren Energien aufs Spiel, indem sie die Netze mit Atomstrom verstopft.

2)

„10 Jahre Moratorium gleich zehn Jahre Stillstand.“

Mit Rot-Grün hat sich erstmals überhaupt eine Regierung verantwortungsvoll dem Endlagerproblem gestellt.
Seit Mitte der 70er Jahre wird in Deutschland radioaktiver Müll produziert, ohne dass klar war und ist, wo die wärmeentwickelnden, hochradioaktiven Abfälle einmal endgelagert werden können. Vorm rot-grünen Moratorium dienten alle Maßnahmen im Bereich der Endlagerung als Instrument zur Rechtfertigung der Atomenergie. An diese Politik knüpfen Merkel und Röttgen heute wieder an. Sie brauchen mit Gorleben ein Symbol zur Rechtfertigung ihrer Laufzeitverlängerung.

In Gorleben wurde nicht erkundet, ob der Salzstock geeignet ist, in Gorleben wurde faktisch an einem Endlager gebaut. Inzwischen wissen wir auch dank des Untersuchungsausschusses, dass nicht fachliche, sondern politische Vorgaben den Ausschlag für den Standort gaben. Es war höchste Zeit, den faktischen Schwarzbau zu stoppen und die Zweifelsfragen aufzuarbeiten und zu beantworten.
Nicht Stillstand, sondern die Beseitigung von Merkels Altlasten und die Minderung des Atommülls prägte rot-grüne Regierungszeit::

  • Das einstürzende Endlager in Morsleben musste geschlossen werden.
  • Das in Hanau lagernde Plutonium musste beseitigt werden.
  • Beendigung der Wiederaufarbeitung und Verbot der Transporte dahin.
  • Beendigung von innerdeutschen Atomtransporten durch dezentrale Zwischenlager.
  • Mit dem AkEnd (Arbeitskreis Endlagerung, ein mit unabhängigen Experten –
    Befürwortern und Gegnern der Atomkraft – besetztes Gremium) wurde erstmalig
    Kriterien für ein transparentes Endlagersuchverfahren mit öffentlicher Beteiligung
    entwickelt, was heute in der Schweiz nicht aber in Deutschland praktiziert wird
  • Die „Sicherheitstechnischen Einzelfragen der Endlagerung“ wurden erarbeitet

Das 2005 von Jürgen Trittin vorgelegte Standortsuchgesetz wurde entgegen ihrer Koalitionsvereinbarung von der großen Koalition nicht weiterverfolgt. Wer war hier untätig und blockierte?
Heute hat Norbert Röttgen alle Werkzeuge für eine zeitgemäße, zielführende und gerichtsfeste Endlagersuche zur Hand. Aber anstatt sie zu nutzen, knüpfen Röttgen und seinAbteilungsleiter, der von E.On kommende Atomlobbyist Gerald Hennenhöfer, auch in der Endlagersuche an die Politik von Helmut Kohl und Umweltministerin Merkel an: Gorlebensoll unter dem Deckmantel der Erkundung gebaut werden.
Fachliche Zweifel werden ausgeblendet, indem man altes, nicht mehr gültiges Bergrecht anwendet und damit Öffentlichkeitsbeteiligung und Umweltverträglichkeitsprüfung ausschließt. Mit der Erarbeitung der vorläufigen Sicherheitsanalyse für Gorleben hat Röttgen übrigens gleich einen weiteren Atomlobbyisten, den früheren Vattenfall-Manager Bruno Thomauske, beauftragt.

3)

„Rot-Grün hat Sicherheit verdealt.“

Röttgen zitiert gern aus dem Ausstiegsvertrag von 2000, um zu belegen, dass damals die Sicherheit verdealt worden sei: „Die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen, um diesen Sicherheitsstandard und die diesem zugrundeliegende Sicherheitsphilosophie zu ändern.“ Was Röttgen allerdings absichtlich unterschlägt ist, dass es vorher heißt: „Während der Restlaufzeiten wird der von Recht und Gesetz geforderte hohe Sicherheitsstandard weiter gewährleistet.“ Atomkraftwerke sind danach nach dem aktuellen Stand der Technik zu betreiben und es ist die „bestmögliche Vorsorge zu treffen“ (Bundesverwaltungsgericht).
Auf dieser Grundlage ordnete Jürgen Trittin mehrfach die Abschaltung von Biblis (zu kleine Sumpfsiebe, falsche Dübel), von Brunsbüttel (Wasserstoffexplosion) und von Phillipsburg (ungenügendes Sicherheitsmanagement) an. In Baden-Württemberg und Hessen geschah dies häufig gegen die CDU-Umweltminister. Diese mussten per Weisung gezwungen werden.
Röttgen unterschlägt, dass mit dem Ausstiegsbeschluss erstmalig gesetzlich eine regelmäßige Sicherheitsüberprüfung aller Atomkraftwerke (PSÜ) mit festen Terminen vereinbart wurde. Einen Rabatt bei der Sicherheit von Atomkraftwerken hat es unter Rot- Grün nie gegeben.

Ganz anders jetzt. Mit dem neuen § 7d des Atomgesetzes soll nicht nur die Beschränkung der Klagebefugnis von Anwohnern von Atomkraftwerken eingeschränkt werden. Es wird eine neue Grauzone zwischen der bestmöglichen Vorsorge nach dem Stand der Technik und dem nicht zu minderndem Restrisiko gebildet. Statt „bestmöglichen“ sind dann nur noch „geeignete oder angemessene“ Maßnahmen notwendig. Den Betreibern von Atomkraftwerken reicht danach ein „Bemühen“, auf den Erfolg der Sicherheitsmaßnahme kommt es nicht mehr an. Diese neue Regel steht im krassen Gegensatz zu den Urteilen des Bundesverwaltungs- wie des Bundesverfassungsgerichts. Rechtswidrig senkt Röttgen so Sicherheitsstandards.

4)

„Im Laufe der vergangenen zehn Jahre ist auf dem Gebiet des Netzausbaus und bei den Speicherkapazitäten praktisch nichts passiert.“

Hier klagt sich die CDU selber an. Sie blockiert in Bundesrat und Ländern seit 2005 den schnellen Netzausbau. Wir Grüne haben seit Jahren den schlechten Zustand der Netze kritisiert und gefordert, sie aus den Energiekonzernen auszugliedern und unter staatlicher Kontrolle auszubauen. Merkel war dagegen.
Im Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz von 2005 war die Erdverkabelung als Regel bei Wohngebieten und bei Natura2000 Gebieten vorgesehen. Dies wurde von der Mehrheit der unionsgeführten Länder 2005 im Bundesrat auf Druck der 4 Stromkonzerne aufgehalten.

Wir Grünen wollen intelligente Netzsteuerungen, optimierte und auch neue Übertragungsleitungen und ein neues Hochleistungsnetz für den großräumigen Transport erneuerbarer Energien. Fakt ist aber, dass genau die Konzerne, die jetzt mit den Atommilliarden den Reibach machen, den Ausbau der Netze jahrelang blockiert haben, weil sie die Konkurrenz der Windenergie im Netz fürchteten.
Jetzt soll alles ganz schnell gehen. Und Schwarz-Gelb setzt dabei voll auf die Konfrontation mit den Bürgerinnen und Bürger. Beteiligungsrechte sollen eingeschränkt, neue Freileitungen durchs Land gezogen werden. Die Strategie neue Leitungen mit der Brechstange durchzusetzen wird scheitern. Wir sind auch beim Netzausbau für Partizipation und wollen vor Ort den Einsatz von Erdkabel ermöglichen, um die Akzeptanz zu erhöhen und den Ausbau zu beschleunigen. Frühzeitige Bürgerbeteiligung und möglichst geringe Eingriffe in Natur und Umwelt beschleunigen den Ausbau der Netze.